Entnommen aus: Hermann Joseph Aloys Körner, Lebenskämpfe in der Alten und Neuen Welt. Eine Selbstbiographie, Band 1, Zürich 1865, Volltext bei Google Books.

18. März 1848

Der dunkle Drang des Volkes nach veränderten Zuständen ließ sich aber nicht lange zurückhalten. Schon nach einigen Tagen suchte es diesem Drange durch wüste tumultuarische Straßenscenen Luft zu machen, und als es erfuhr, daß man Schutzmilitär in Düsseldorf requirirt hatte, griff es selbst das Eigenthum Anderer an. Spät am Abend erfuhr ich, daß „der Pöbel das Rathaus demolire“. Daselbst angelangt, fand ich das Haus von einer so großen Menge Volk umgeben, daß ich nicht weiter vordringen konnte. Doch gelang es mir, durch eine Nebenthür in der anstoßenden Straße Eingang in das Rathhaus zu finden, und dies gerade in dem Augenblicke, als die Fenster an der Hauptfronte eingeworfen wurden. Der Oberbürgermeister von Carnapp, ein zwar wohlbeleibter, aber sich doch jugendlich-eng zusammenhaltender Gentleman, war im Vestibül und von seinen Beamten und einem Theile des Stadtrathes umgeben; Jeder lief zwischen den übrigen rathlos hin und her. Bei jedem Pflastersteinwurf, der in die Fenster traf, sprang der jugendlich Beleibte hinter dem einen Pfeiler weg, um sich, hinter einem andern zu schützen. Ich fand unter den Stadträthen nur Drei Willens, mit mir auf die Treppe des Rathhauses vorzutreten und das Volk beruhigend anzusprechen. „Ach! meine Herren! verlassen Sie mich doch jetzt nicht!“ bat der Oberbürgermeister, uns zurückhaltend. Wir aber drückten ihn zur Seite hinter einen Pfeiler, und traten durch das von uns nur wenig geöffnet gehaltene Thor vor die tobende Menge, unverletzt von den Steinwürfen, welche dem Eingange eben zuflogen, als sich, das Thor in dieser Weise aufthat. Nachdem wir erkannt waren, hörte man auch auf unser Sprechen. „Aber das Düsseldorfer Jägerbataillon ist in der Stadt!“ rief ein Färberknecht, und ein anderer: „Ja, und es will das Rathhaus besetzen.“ – ,,Ehe wir das zugeben,“ rief ein Dritter, „wollen wir das ganze Rathhaus niederreißen!“ – Wirklich, hörten wir das Militär in der nahen Herzogsstraße dem Rathhause zurücken, noch ehe wir durch Reden das Volk beruhigt und auseinander gebracht. Ich erbot mich, den Commandirenden anders zu bestimmen, wenn sie, die Arbeiter, das Rathhaus vor weiteren Angriffen selbst schützen wollten. Alles schrie sein „Ja, Ja!“ und ein ganzer Trupp der Entschiedensten fing an, das Volk um das Rathhaus herum in geordneten Haufen aufzustellen, während ich dem Militär entgegen eilte.

Noch ehe ich die anrückende Colonne erreicht hatte, schickte der Oberbürgermeister mir die Nachricht nach, „daß ein Pöbelhaufe die van der Beck’sche Fabrik in der Neuen Teichstraße angreife.“ Wie ein dazu berechtigter Beamter, gab ich dem commandirenden Officier die Ordre, nach dem Neuen Teich zu marschiren, „weil dort sein Schutz am ersten Noth thue.“ Als er sich aber mit seinen Jägern links ab von dem Wege zum Rathhaus gewendet, eilte ich dem Militär voraus zu der genannten Fabrik. Wirklich hatte man, nachdem alle Fenster des Wohnhauses zertrümmert waren, schon angefangen, den der Straße zunächst liegenden Theil der Werkstätten des verhaßten Fabrikanten zu demoliren. Die Angreifenden waren meist gemeines Gesindel; nur wenige eigentliche Fabrikarbeiter waren darunter. Dessenungeachtet [sic!] gelang es einigen Freunden nach einiger Anstrengung, meiner schon fast heiser gewordenen Stimme Gehör und meinem Rathe Eingang zu verschaffen. Ich ersuchte die Leute, schnell nach Hause zu gehn, ehe die Soldaten anlangten und ihre Feuerwaffen gegen sie gebrauchten. „Und schießen müssen sie auf euch, wenn ihr fortfahrt, Anderer Eigenthum zu zerstören.“ Noch ehe die Jäger, den Hirschfänger auf die Büchse gepflanzt, anlangten, hatte sich fast Alles verlaufen. — Nur vor den angegriffenen Gebäulichkeiten wurde eine Sicherheitswache aufgestellt, das übrige Militär aber schnell in Quartiere bemittelter Bürger untergebracht. Darin wurde von einer Anzahl demokratisch gesinnter Bürger, mit einem Theil der Büchsen der Jäger bewaffnet, als „Bürgerwehr“ das Rathhaus besetzt. Das ließ nun auch das Volk, daß daselbst noch immer umherwogte, sich gern gefallen und zog allmählich beruhigt nach Hause.

So ward im Wupperthale , „die erste Bürgerwehr“ improvisirt und schon am andern Tage von der Regierung dadurch anerkannt, daß und die nöthigen Gewehre aus dem Zeughause in Gräfrath zugewiesen wurden. Ich aber hatte begriffen: daß, so lange der Magen allein das Treibende ist, das Volk in politischen Bewegungen höchstens in einer zur Umwälzung nöthigen Anarchie dienen kann; daß die Demokratie, als bewegende Staatsmacht, wenn ungepflegt, dem Volksboden wie Unkraut erwächst, nicht aber wie eine wohlthätige Pflanze – weder im Spinnsaale, noch am Webstuhle und auch nicht in der zerfallenden Hütte des armen Tagelöhners. Nur als Frucht geistiger und gesellschaftlicher Cultur hat meine Deokratie [sic!] Gesundheit und öffentliche Sittlichkeit!

Als wir nun freudig und singend Bürgerwehr-Dienste thaten, wie freundlich waren da die Fabrikherren und Rentiers mit uns „Demokraten“! Waren wir es doch wir gewesen, die ihr Eigenthum vor Zerstörung und die Stadt vor Verwirrung bewahrt hatten! — Manche der Herren, die mir früher höchstens einen ausweichenden Seitenblick als Gruß zugeworfen, ergriffen nun zuthunlich, meine Hand und drückten sie warm und innig in ihren beiden. Sie ließen sich sogar in meinem Stadtrevier mit Freuden von mir in Rotten einreihen und zur Seite ihres eignen Schusters und Kutschers als Bürgerwehrmann auf Posten stellen.

Siehe auch: Bericht des landräthlichen Kommissars Bredt über den 18.3.1848