Entnommen aus: Hermann Joseph Aloys Körner, Lebenskämpfe in der Alten und Neuen Welt. Eine Selbstbiographie, Band 2, Zürich 1866, Volltext bei Google Books.

1835

Die „Fabrikarbeiter“ selbst betreffend, so grassirte damals, im Jahre 1835, als ich von Cöln nach Elberfeld übersiedelte, in dieser Stadt und in den umliegenden Fabrikorten, ja im ganzen Wupperthale und das Enneper Thal hinunter bis Iserlohn, besonders aber in Solingen, die gräßlichste Prellerei von Seiten der „Arbeitgeber“. Das Uebel war dadurch doppelt schlimm, daß die meisten dieser Bedrückungen kaufmännisch, oder vielmehr ,,krämerisch versteckt“ ausgeführt und von den wenigsten Arbeitern in ihrer Größe erkannt wurden. Erst als wir heimlich ganz kleine Vereine der intelligenteren Arbeiter ohne religiöse Tendenz gebildet und wir diesen die Fäden des Netzes nachgewiesen, das sie umstrickt hielt, und erst, als nach und nach auch die Masse der Arbeiter damit bekannt wurde: erst dann erwuchs bei allen ein Bewußtsein über die Weise, wie sie selbst bei geschicktester und bester Arbeit, von ihren Arbeitgebern geprellt wurden.

Der allgemeine Charakter dieser Prellereien war: daß man die Arbeiter in wöchentlichen oder längeren Perioden nicht in baarem Gelde, sondern in verschiedenen anderen Weisen bezahlte.

Die eine Gruppe von Fabrikherren betrieb die Sache mit einer Art ,,Wechselpressung“; sie gab den Arbeitern statt Baar nur „schriftliche Anweisungen“ auf Zahlungen. Im besten Falle hatten dann die Leute, durch ihr Ungeschick, Umständlichkeiten die Verbaarung ihrer Anweisungen bei einem Bankier oder Handlungshause einzuziehn. Häufig lagen aber die Zahlungshäuser mehr oder weniger weit von der Fabrik abwie in Barmen, auf der Gemarke, in Schwelm, Gräfrath u. s. w. Dann mußten die Geplagten noch den Rest ihrer von der Arbeit abgezehrten Kräfte zur Einholung der Baarzahlung aufbranden. Was Wunder, wenn sie auf dem Nachhausewege in einer Schnapskneipe einsprachen und von dem Branntweingifte leicht in Trunkenheit geriethen! Viel schlimmer erging es denen, deren Anweisungen auf Stellen lauteten, an die der Fabrikherr Forderungen zu machen hatte, die er auf keine andere Weise, als durch die drängenden Arbeiter eintreiben konnte, sogenannte „faule Forderungen“, bei denen es zuletzt darauf hinauslief, daß der Arbeiter froh war, statt der ganzen nur einen Theil der Zahlung zu erhalten. Aber davon nahm dann der Herr keine Notiz. Hatte doch dieses Schandverfahren schon eine Gattung „Zwischenprellerei“ hervorgerufen : die „Notenmakler“ und „Winkelwechsler“, welche die „Briefchen“ der Arbeiter gegen einen mehr oder minder hohen Verlust auszahlten, um dann ihren Mauschel weiter damit zu treiben.

Eine andere Gruppe prellender Arbeitgeber machte ihre Verbindlichkeiten in ,,Waarenzahlungen“ ab; sie gaben ihnen Anweisungen auf Specerei -, Victualien- und andere Kleinhandlungen, in denen sie die Arbeiter statt baaren Geldes mit stickigem Mehl, angefaulten Kartoffeln, fratzigem Kaffee, abgelegenem Speck, ranziger Butter, schadhaften Schuhen u. dergl. m. segnen mußten. Dabei fand es sich in der Regel, daß die Arbeitgeber selbst – wer fühlt sich da nicht empört im tiefsten Grunde des Herzens? – entweder „heimlich Eigentümer“ dieser Zwangkrambuden waren, oder doch „Theil an der Beschaffung der schlechten Waaren“ hatten, die dem armen Arbeiter an Zahlungsstatt aufgedrungen wurden.

Eine dritte Weise der Lohnzahlung bestand darin, daß der Fabrikant einen Theil seiner Zahlung in sogenannten ,, fehlerhaften Fabrikaten“ abmachte, – – in Waaren eigner Fabrik, die er nicht alle füglich mit seinen en gros auf die Märkte oder Messen oder auch nicht in Commissionssendungen ins Ausland bringen konnte. Der arme Arbeiter oder seine Frau lief dann damit aller Orten herum, um hier ein seidnes Tuch oder Kleid mit verschobenem Drucke, dort eine Weste oder einen Shawl mit schadhaften Fäden an den Mann zu bringen.