16. Mai 1849 – Der letzte Tag

Dann sprach ich mit Mirbach. Wir stimmten in dem Urtheile überein, daß die Stadt, von einer uns überlegenen Truppenmacht eingeschlossen, kaum zwei Tage gehalten werden könne. Und zu was sie nun halten? Hatte doch das Parlament uns aufgegeben, Cöln sich bornirt und feige zurückgehalten und auch alle übrigen Städte und Landschaften uns drei, Elberfeld, Iserlohn und Trier, allein und isolirt gelassen? Wir einigten uns bald dahin, Vorkehrungen zu treffen, unsere Freischaaren, namentlich unsere stattliche Landwehr, mit der bei uns in Iserlohn stehenden bewaffneten Macht in der Nähe von Lüdenscheid zu vereinigen, uns dann in forcirten Märschen nach Nassau zu werfen, oder auch, wenn möglich, über den Rhein nach dem Hundsrücken zu gehen und von dort an die Grenze der Rheinpfalz zu ziehen, um uns mit dem Pfälzer und Mainzer Revolutionsheer zu vereinigen. Länger in unserer nun völlig isolirten Stellung zu bleiben, wäre unverantwortlich, ja, reiner Blödsinn gewesen.

Eben als wir damit beschäftigt waren, einen solchen Abzug unserer bewaffneten Macht und den Transport unserer nicht uns ansehnlichen Munition, vor Allem aber die Herbeischaffung der dazu nöthigen Geldmittel zu berathen: gerade da trafen durch die gütige Vermittlung des Minister August von der Heydt, Excellenz“, aus dem Ministerium zu Berlin, zwei gleichlautende „telegraphische Depeschen“ ein, – die Eine „an die Elberfelder Landwehr“, die Andere „an die Elberfelder Bürgerwehr“, mit der beglaubigten Beifügung der Namen aller der aus den verschiedenen Orten des Bergischen und der Mark kürzlich nach Berlin geschickten Deputirten – es waren deren einundsechezig. Der wesentliche Inhalt aber der Depeschen war der: „daß des Königs Majestät die Reichsverfassung, wie sie im Parlament bei der ersten Lesung festgestellt worden, angenommen habe; daß die vollständige Einigung mit den bisher widerstrebenden königlichen Regierungen gelungen, und nur durch zufällige Veranlassung nicht unterzeichnet sei, die Verkündigung aber schon in wenigen Tagen erfolgen und Sr. Majestät Proclamation noch heute (am 15. Mai nämlich) erscheinen werde“. – Die am Abend desselben Tages zurückfahrenden Deputirten Elberfelds, Philippi, Pagenstecher und Simons-Köhler — bestätigten diese Verkündigung vor den Fronten der Bürgerwehr, Schützen und Landwehr. Doch — die Herren waren selbst düpirt worden! — Es hatte sich nur darum gehandelt: „daß zwischen Preußen, Baiern, Hannover und Sachsen ein, mit ,möglichster‘ Beibehaltung der Bestimmungen der Frankfurter Reichsverfassung abgefaßter Reichsverfassungsentwurf aufgestellt und vereinbart werde, dessen Emanirung aber schon nach einigen Tagen von der officiellen Presse Berline desavouirt wurde, — „weil durch die arglistige, vom österreichischen Cabinete eingegebene Politik Baierns dieses schon seit zwei Jahrhunderten undeutsch-operirenden egoistischen Staates keine Verständigung habe zu Stande kommen können“.

Indeß, das letztere wußte damals Niemand und es wurde nur von Wenigen unter uns geahnt; es brachte mir sogar die Gefahr, vom versammelten Volke – das erste Mal in meinem leben, denn ich hatte bisher immer auf der Purpurwolke der Volksgunst gethront! — laut angemurrt zu werden, als ich meinen bestimmtesten Zweifel über die Wahrheit und meine moralische Ueberzeugung von der „Unwahrheit der ministeriellen oder von der Heydtschen Depesche“ aussprach.

Und ähnlich erging es mir in der Versammlung der bewaffneten Landwehr und Schützen. „Wir verlangten ja die Reichsverfassung, und die ist nun anerkannt!“ ,,Mehr haben wir ja nie gewollt, als was uns jetzt der König bewilligt!“ – „Laßt uns jetzt auch nicht halsstarrig, laßt uns nun dem Könige dankbar sein“ so schrien Landwehrmänner und Schützen abwechselnd mir entgegen, und „Vivat hoch, dem König!“ – Hoch dem deutschen Parlament, dem deutschen Preußen, hoch!“ schrien die Landwehrmänner, wie ein Mann, ihrem Führer Pothmann nach. –

[…]

Diese und andere ernstlich drohenden Anstalten brachten dann auch zulegt das Uebereinkommen zu Stande: „daß die Freischärler am nächsten Morgen mit ihren Waffen und ihrer Munition ehrenvoll und ungehindert aus der Stadt ziehen und ihrem Führer, Otto von Mirbach, eine von ihm für hinreichend erklärte Summe baaren Geldes solle eingehändigt werden, um davon auf einem viertägigen Marsche die Verpflegung seiner Mannschaften zu bestreiten: daß aber auch in den nächsten vierundzwanzig Stunden nach dem Abmarsch keiner der politisch Compromittirten im Weichbilde von Elberfeld und Barmen dürfe verhaftet werden“. Dies zu halten, gaben die Chef’s der bewaffneten Macht und die Vertreter der Bürger Handschlag und Ehrenwort. Der nun schon wieder zahlreicher in der Stadt gegenwärtige Stadtrath, im Harmoniegebäude versammelt, bestimmte dann auch gleich die Summe von fünfzehntausend Thalern für die abziehenden Freischärler, und der Betrag wurde in kurzer Zeit durch Subscription gezeichnet. Es waren das freilich nur Zeichnungen, mit denen die Abziehenden nicht bezahlt werden konnten! –

[…] Erst nachdem Mirbach durch ein Detachement „Solinger“ den Banquier „Daniel von der Heydt“ als Geisel auf das Rathhaus hatte holen lassen und man darauf anfing, baares Geld aufzuzählen, und erst nachdem ich den Bewaffneten vor dem Rathhause laut mein Wort gegeben: ,, daß ich, der MeistCompromittirte, nicht eher sie und Elberfeld verlassen werde, bis der letzte Mann von ihnen sicher und unverletzt mit seinen Waffen aus der Stadt, über die Isländer Brüde, gezogen sei“; erst da faßten sie ernstlich den Willen und gaben mir das Versprechen, die ihnen nun doppelt verhaßten Gegner nicht anzugreifen. Sie haben das auch redlich gehalten, wogegen die fromme Bürgerwehr ihnen später, als sie die Brücke passirten – mit scharfer Ladung nach, also in den Rüden, geschossen hat. Das habe ich erst später in weiter Ferne erfahren; sowie auch, daß die Krämerseelen den Herrn von Mirbach mit sechstausend Thaler, und zwar nur 2300 in baar, das übrige in einem nicht endossirten Wechsel auf ein Frankfurter Haus (!), abgespeist hatten, was dieser Mann, weil nicht bewandert in Geldsachen, auch erst später ausgefunden.

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