30. April 1849 – Tausend Mann in Düsseldorf

Schwerkeuchend bewegten am 30. April zwei Locomotiven eine Linie von vierzig Wagen voll festlichgeschmückter Bürger aus dem Elberfelder Bahnhofe in der Richtung auf Düsseldorf, von dem enthusiastischen Nachrufe der zurückbleibenden Menge begleitet. Deutsche Lieder singend, deutsche Fahnen schwingend, flog dann der lange Wagenzug rasch an allem mit endlosen Hurrah’s grüßenden Volke vorüber, dem Weichbilde Düsseldorfs zu. Hier hatte sich, bis weit ins Feld hinaus, Düsseldorfer Volk an beiden Seiten der Eisenbahn grüßend aufgestellt; selbst einige hoch aufgeschossene preußische Uhlanen waren darunter, standen equilibristisch mit einem Fuß auf Zaunpfosten und schrieen uns ihr „Willkommen!“ zu, das Schwenken ihrer Arme mit dem des nicht unterstüßten Beines begleitend. Nachdem uns im Bahnhofe eine Deputation der Düsseldorfer Demokraten feierlichst bewillkommt und wir unsern Zug zum Einmarsch in die Stadt, zu drei und drei, geordnet hatten, schritten wir langsam dem Schwanenthore zu, Höchster und ich an der Spitze. Vor dem Thor aber war die ganze Brücke über den Wassergraben und der Thoreingang selbst dicht mit bewaffneter Infanterie besetzt. Noch fünfzig Schritte von ihnen entfernt, gab der Hauptmann seinen Soldaten den Befehl zum Laden ihrer Gewehre, also vor unsern Augen. Ruhig aber und ernst schritten wir dieser Besatzung entgegen. Da, als wir ihr auf zwanzig Schritte nah gekommen, schallte das Commando „Fertig!“ zu uns herüber; viele hundert Bajonnete, wie zuckende Blitze sich im Sonnenlicht bewegend, streckten sich uns mit einem Schlag entgegen, und in kurzem vielfachem „Knack-Knax!“ spannten sich die Hähne, zum Schusse bereit. Die lange Reihe der schreitenden Männer stockte plötzlich, wie vom Donner gerührt. Ich muß gestehen, daß mir selbst, dem Führer, im ersten Augenblick der Athem stockte und in der lautlosen angstvollen Stille des Volkes ringsumher das kurze, scharfe ,Knack-Knax“ mir so über die Nerven fuhr, wie wenn ich mit einem Male bis über die Hüften in ein kaltes Bad versenkt worden. Doch nur ein Augenblick — und Athem und Wille waren zurückgekehrt. Auch war unsere Reihe nicht gewichen ausgenommen Höchster, aber nur »to be out of harm’s way«. Bis dicht an die Bajonnetlinie trat ich nun allein vor. „Warum“, rief ich dem Offizier zu, „warum verwehren Sie friedlichen Bürgern den Eintritt in die Stadt, und warum strecken Sie Unbewaffneten das schußfertige Gewehr entgegen ?“ ,, Rechten Sie nicht mit mir!“ sagte der Hauptmann mit fast zitternder Stimme, „ich folge nur höherem Befehle, keinen geschlossenen Zug einzulassen.“ „Auch nicht Einzelne ?“ fragte ich ihn, nach einigem Besinnen, und er meinte: „Einzelnen den Eintritt zu wehren, habe ich freilich keinen Befehl!“ Als etwa ein Duzend von uns, Jeder einzeln für sich, durch die enggeöffnete Gasse der Soldaten durchgeschritten, hatte sich allmählich ein immer breiterer Menschenkeil hineingepreßt, und bald waren die willigen Soldaten zu beiden Seiten dicht an die Geländer der Brücke gedrückt.

Auf dem nahen Schwanenmarkte in der Stadt hatten sich Tausende von Düsseldorfer Bürgern eingefunden, ungeachtet daß die umgebenden Straßenlinien alle mit Militär besetzt waren. Es dauerte eine gute Weile, ehe wir unsere eignen Leute unvermischt und dicht um uns versammelt hatten.

Aber noch ehe wir uns wieder zum Zug nach dem Regierungsgebäude geordnet hatten, trat ein Adjutant des commandirenden Generals mit der Meldung zu uns heran: ,,Der Commandant sei genöthigt, jedem Zuge, der aus mehr als zwanzig Personen bestehe, den Marsch zum Regierungspalaste mit Gewalt der Waffen zu verwehren. Höchster, der sich wieder eingefunden, bestieg, statt eines Rednerstuhls, die Schultern von drei bis vier unserer Leute, machte die dictatorische Meldung bekannt, und in wenigen Minuten waren die Zwanzig durch Acclamation gewählt.

Bald bewegte sich nun auch der Zug unserer Zwanzigerdeputation, von Polizisten umgeben, durch die vollgedrängten und geschmückten Straßen dem Regierungsgebäude zu; ich war Einer dieser Zwanzig – war ihr Führer. Aus allen Fenstern grüßten Frauen und Mädchen mit wehenden Taschentüchern und überschütteten uns mit Maiblumen; selbst von den Dächern schallte ein fortwährendes Hurrah zu uns herab. Alle Seitenstraßen, die wir passirten, waren dicht mit Militär besetzt, und vor uns sprengten, von Straße zu Straße, Adjutanten mit blitzenden Helmen hin und her, um gegebene Ordres weiter und weiter zu tragen. Auch der Platz vor dem Regierungspalaste war mit Doppellinien von Militär umstellt, und als wir eingetreten waren, schlossen sich dem nachdrängenden Volke die Pforten.

Im Vorsaale des Regierungspräsidenten empfing und der Polizeidirector, ein Baron von Faldern. Er war in die Gala-Uniform der höheren Polizei gekleidet und trug kolossale Epaulettes mit dicken Goldquasten, die ihm bei seinen hohen Schultern und seiner kurzhalsigen, gedrungenen Gestalt bis an die Ohren reichten. Bei jedem der Worte, die wir vorbrachten, um sogleich vor den Präsidenten gelassen zu werden, zuckte der hohe Polizeimann, unter einem steten trockenen Waschen seiner großen Hände, die Schultern, zuckte sie auf und ab, so daß bei jeder solchen Aufwärtsbewegung die goldenen Epaulettes bis über den kahlen Scheitel des Kopfes zu reichen schienen. Und vor jeder seiner Antworten schlüpfte er, wieder achselzuckend, in das Cabinet des Präsidenten und kam dann immer nach wenigen Augenblicken, statt mit einer Antwort, mit einer neuen inquirirenden Frage an uns, zurück. Sichtlich waren die Herren da drinnen im Cabinete in Verlegenheit, wie sie uns empfangen sollten, und hatten dem hohen Polizisten die Aufgabe gestellt, nach einem formellen Vorwande zu suchen, um uns ungehört abweisen zu können, oder gar, uns in Verhaft zu nehmen. Als Höchster und ich unsere Namen und unseren Stand und uns als Leiter der Deputation genannt, meinte der Polizeidirector unter noch bedeutenderem Achselzucken: „Die Herren sind doch nicht officiell autorisirt – ich meine, haben keine Autorität, wenigstens keine hinreichende Autorität, eine ganze Bürgerschaft zu vertreten.“ — Als dann aber die andern Mitglieder unserer Deputation ihre Namen nannten „Staatsprocurator Heinzmann“, „Dachdeckermeister Walter“, Gerichtsrath und Eisenbahndirector Riotte“, „Seidendrucker Steffens“, „Handelspräsident und Bankdirector Heder“ u. s. w., und dann noch erklärt hatten, daß die übrigen tausend Bürger weniger Zwanzig, denen der Zutritt zum Regierungspalast versagt worden sei, ebenfalls, jeder für sich, für die Bürgerschaft Elberfelde einstehe: erst da führte er uns in das Cabinet, nachdem er vorher selbst nochmals darin gewesen. Herr Präsident von Möller sind abwesend in Berlin“, sagte uns hier unter leiser Verbeugung und mit sauersüßem Lächeln ein langer, dünner Herr mit feinen spitzen Zügen in seinem bleichen Gesichte, blauen Augen und wenigem, dünnem Blondhaar auf dem fast kahlen Kopfe. Hinter ihm stand eine ganze Gruppe Regierungsräthe und unter diesen ihm zunächst der große, breitschultrige, finstere Oberregierungsrath „von Spankern“ und der erdfahle mephistophelische Oberregierungsrath „von Mirbach“, mit einem Buche unter dem Arme, vermuthlich dem Gefetzbuche. An einem der grünen Sitzungstische saßen schreibfertig zwei junge Regierungsreferendarien, als Protokollführer; und hinter diesen wieder standen wartend ein Gensd’armerieoffizier und ein Ordonnanzadjutant in Dienstuniform. „Ich habe zwar übernommen“, fuhr der Herr mit bleichem Antlitz fort, ,, den Herrn Regierungspräsidenten während seiner Abwesenheit zu vertreten, zweifle aber an der Gefetzlichkeit, die Herren aus Elberfeld empfangen zu dürfen.“

Und nun suchte der Herr „von Mirbach“ wiederholt und weitläufig nachhzuweisen, daß wir zu unserer Sendung nicht autorisirt, überhaupt aber dazu nicht berechtigt seien. Dagegen schilderten abwechselnd Heinzmann, Hecker, Riotte und ich, wenn unsere Entgegnungen an die Reihe kamen, die große Gefahr für die Ruhe Düsseldorfs und Elberfelde, wenn wir unverrichteter Sache wieder heimkehren müßten; und als Riotte fortgefahren, die schmerzensvolle Aufregung des Volkes über die Ablehnung der deutschen Krone durch den König, über das Verbleiben des Ministeriums, das ihm diese Unglücksthat angerathen, und über die Auflösung der patriotischen Rammern mit glühenden Worten zu schildern: da waren Herrn von Dalbert, ich glaube so hatte derselbe sich uns genannt, unwillkürlich das Blut in die bleichen Wangen und Thränen in die blauen Augen gestiegen. „Seit den dreiundzwanzig Jahren meiner Dienste im Staate ist es mir nie so hart geworden, wie heute, den Willen der Höchsten Behörden zu vertreten. Dieser Wille bestimmt, Sie abzuweisen. Doch ich kann es nicht! — ich kann es wahrhaftig nicht, meine Herren!“ sprach er, halb zurückgewendet, zu dem Collegium der Regierungsräthe. „Ich werde“, fuhr er, uns wieder in gefaßterem Tone anredend, fort, „auf meine eigene persönliche Verantwortung, die Erklärung der Deputation amtlich entgegen nehmen und sie sogleich Höchsten Ortes befördern.“ Bei diesen Worten zogen Spankern und Mirbach sich sogleich, mit zugekniffenen Lippen und noch bleicher als vorher, in den tiefsten Hintergrund des Saales zurück; und ihnen schlichen fast alle übrigen Räthe dahin nach, dort besondere „unverantwortliche Beamtengruppen“ bildend. Nur zwei der Regierungsräthe waren bei Herrn von Dalbert geblieben, und dies waren uns wohlbekannte Männer.

Als wir das Cabinet und das Haus der Regierung verlassen, fanden wir den ganzen Platz vor demselben „vom Volke gesäubert“ und dreifache Soldatencolonnen die dumpfmurmelnde Menge in drei angrenzenden Straßen zurückhaltend. Im Augenblick, als wir auf der Treppe des Gebäudes erschienen, schalten aus allen diesen drei Straßen donnernde Hoche“ zu uns herauf. Das Volk hatte schon unsere Verhaftung befürchtet. Ein Piquet Polizisten wollte uns nun durch die Volksmenge hindurchgeleiten; dem führenden Commissarius bemerkte ich aber: „In der Mitte des Volkes bedürfen wir keines besonderen Schußes !“ und das Volk begleitete uns freudejauchzend und singend zum Hauptquartier der Düsseldorfer Demokraten. Als hier engere Verbindung und Verabredung für künftiges gemeinschaftliches Handeln getroffen, kehrten wir, der ganze Zug in Procession, von grüßendem Volke umschwärmt, ziemlich wohlgemuth nach Elberfeld zurück.

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