8. Mai 1849 – Die Revolution wird geplant

Ich selbst aber war den Tag vorher schon nach Cöln und Deuß gegangen. Die geheimen „Nachberathungen“ eines Ausschusses des demokratischen Congreffes in Deutz und die „Vorberathungen“ der am nächsten Tage in Cöln abzuhaltenden ,,Gemeinderäthe-Versammlung aus allen Städten und Bürgermeistereien der Rheinprovinz“ ergaben das folgende Resultat, bei welchem auch die direct eingegangenen Mittheilungen des Frankfurter März-Vereins und der Landesausschüsse in Baden und der Rheinpfalz mit berücksichtigt waren:

„[…} Zur selben Zeit, und zwar am 15. Mai, soll ein allgemeiner Aufstand im westlichen Preußen und weiter zum Ausbruch gebracht werden; zu nächst um Preußen mit seiner Armee im eigenen Lande zu beschäftigen und es so an einem Einmarsch in die Pfalz und in Baden zu hindern, dann aber auch um das preußische Gouvernement „zur Anerkennung der Reichsverfassung und zur Uebernahme der Führung der selben“ zu zwingen. Um den Marsch einer preußischen Armee durch die Rheinprovinz nach Süddeutschland abzuschneiden, soll in allen Orten auf einer strategischen Linie von Hessen – Cassel bis zur französischen Grenze von Saarlouis und Trier die Mosel hinab bis Coblenz, und von da den Rhein hinab über Bonn; Cöln und Düsseldorf bis Mülheim an der Ruhr, dann auch von Cöln über Solingen, Elberfeld, Hagen und Iserlohn bis über Arnsberg hinaus das Volk sich öffentlich für die Reichsverfassung erklären und mit den Waffen, die aus den Händen reactionärer Bürgerwehren zu nehmen und durch Erstürmung aus den königlichen Arsenalen zu beschaffen sind, sich jeder Gewalt widersetzen, welche sich der Reichsverfassung entgegen zeigt. […]

Alles, was in den nächsten Tagen geschah, ließ auch den besten Erfolg hoffen. Namentlich berechtigte dazu die veröffentlichte drohende Erklärung, welche am 8. Mai in Cöln von dreihundertundzwanzig Gemeinderäthen aus der Rheinprovinz an die preußische Regierung abgegeben wurde, eine Erklärung, die im Falle der Nichtanerkennung der Reichsverfassung mit „Abfall von Preußen“ und „Kampf gegen freiheits- und einheitsfeindliche Mächte“ androhte. […]

Um ein kräftiges Mitwirken des wichtigsten Punktes unserer revolutionären Cordonlinie, Cöln, mehr zu sichern, setzte ich mich am 6. Mai vor meiner Rückreise nach Elberfeld mit den Leitern der socialistischen Arbeiterverbindungen in Cöln in Verbindung, da diese sich von den letzten demokratischen Demonstrationen für die Reichsverfassung ausgeschlossen hatten. Es waren, außer einigen Andern, die Herren Gottschalk und Anneke und die Redacteure der „Neuen Rheinischen Zeitung“, ich denke es war Marx, Wolf, Dewerth und Engels. Mit Ausnahme des letztern, und ich glaube auch Gottschalk’s und Anneke’s, war keiner der Herren von dem bornirten Standpunkt eines doctrinären Radicalen weg zu bewegen; ja, sie gingen in ihrem fanatischen Nihilismus so weit, daß sie mit dem kleinen Häuflein ihrer rohen Kräfte allen Bewegungen entgegenwirken wollten, welche für eine Durchführung der Reichsverfassung auftreten würden“, ohne daß mir einer der „Allesschlechtfindenden“ auch nur die Idee eines Staatsorganismus anzugeben wußte, den er in Deutschland sogleich an die Stelle der Reichsverfassung hätte setzen wollen. […]. Außer mit ihrem bequemen giftigen, aber bodenlosen Raisonnement, hat keiner von ihnen, ausgenommen Engels und Anneke, sich dem gemeinschaftlichen Feinde, Auge in Auge, gegenüberzustellen gewagt. Und selbst dieser Engels hat, ungeachtet seiner edlen opferungsfähigen Hingabe, doch durch seine stets unzeitigen, rein äußerlichen socialistischen Extravaganzen innerhalb der Reihen kämpfender Demokraten dem unmittelbaren Erfolg der Sache mehr geschadet, als wenn er ihr fern geblieben wäre.

Schon auf dem Rückwege nach Elberfeld erfuhren wir den zu frühen Losbruch der Bewegung in Breslau und die Schreckensnachricht von dem ebenso zu frühen Kampfe der sächsischen Demokraten in Dresden gegen die dahin gerufenen preußischen „schwarzweißen“ Regimenter, die der Preußenkönig durch den Beistand Rußlands von der polnischen Grenze hatte wegziehen können. Ebenso unerwartet war die Nachricht von unsern Kundschaftern in Düsseldorf und Münster: „daß schon der Befehlergangen, von Düsseldorf aus Militär gegen die revolutionären Landwehrstämme in Elberfeld und von Hamm aus gegen die in Hagen und Iserlohn marschiren zu lassen.“ Offenbar hatte das Gouvernement, aller Vorsicht ungeachtet, von dem beabsichtigten allgemeinen Aufstande“ erfahren und suchte diesem durch Gefangennahme der Leiter in der Landwehr zuvorzukommen.

[…] Auch die Elberfelder Landwehr suchte sich schnell zu bewaffnen und bezog ein Lager auf der Wilhelmshöhe. Während dies geschah, bedrohten viele andere Bürger und Arbeiter das Rathhaus, um den Gemeinderath und selbst den aristokratischen Chef der Bürgerwehr, Moritz Simons – einen Neffen des preußischen Justizministers gleichen Namens – zu bestimmen, bei den Regierungsbehörden in Düsseldorf gegen den Anmarsch von Soldaten zu wirken. […] Ich mochte mir nicht anmaßen, in einer so wichtigen Sache die äußere Spitze selbst zu vertreten, und rechnete bestimmt, daß in der Stunde der Entscheidung die eine oder andere bedeutende Persönlichkeit hervortreten, jedenfalls uns bald vom ,,März-Verein“ in Frankfurt zugeführt werde. Ich hoffte sogar, meinen Amtspflichten wie bisher obliegen und mich von Allem, was zulegt einen abenteuerlichen Anstrich erhalten konnte, fern halten zu können. Für diese thörichte Hoffnung bei solchem Thun, wie ich’s bereits begonnen, bin ich denn auch so recht gründlich bestraft worden. Denn das eben ist die dämonische Dialectik in revolutionären Bewegungen, daß der daran mit redlicher Ueberzeugung Theilnehmende von Stufe zu Stufe weiter getrieben wird, oft ohne eigne Wahl, bis er auf einmal auf jäher Höhe angelangt einen Abgrund vor sich sieht, den er entweder durch die Trümmer des angegriffenen Bestehenden ausfüllen muß oder in den er selbst hinabgestürzt wird.

Als die Stadtbehörden, nach des Oberbürgermeisters Rückkunft von Düsseldorf, angekündigt: daß ihr die Regierung versprochen, einstweilen das Militär zurückzuhalten, und auch die Bürgerwehr auf Veranlassung ihres Chefs erklärt hatte: , daß sie nicht gegen die Landwehr agiren“ werde, blieb die Stadt am nächsten und auch im Anfange des darauf folgenden Tages ruhig. Diese Ruhe war aber eine Stimmung theilweise der Angst, theilweise der Erwartung ernster Vorgänge. Denn die mancherlei fremden Gesichter in den Straßen, eilig ankommend und eilig sich entfernend, ließen Jeden ahnen, daß es bei den stattgefundenen Tumulten nicht bleiben werde. Diese Gesichter gehörten zum Theil Boten an mich aus benachbarten Orten und Städten an, zum Theile Leuten, die verstohlen Pulver und Blei in die Quartiere der Schützen, Turner und bewaffneten Arbeiter, und ins Lager der Landwehr auf die Wilhelmshöhe brachten. Auch manche vom „März-Verein“ Geschickte waren darunter. […]

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