10. Mai 1849 – Abzug der Soldaten

Gegen halb vier Uhr Morgens es war nun der 10. Mai wurde ich hastig aufgerüttelt. „Das gesammte Militär macht Anstalten, aus der Stadt zu marschiren!“ Nach welcher Richtung hin?“ „Nach Westen, auf Düsseldorf zu.“ „Auf der Eisenbahn?“ ,,Die haben wir ja schon gestern Abend bis zum Viaduct zerstört! Sie nehmen die Chaussee.“

So schlecht ich schreiten konnte, ließ ich mich doch sogleich an die Abhänge des Grünenbergs führen. Von hier konnte ich die Bewegung des Feindes beobachten; zog wirklich ab, vermuthlich weil durch die Thätigkeit der Düsseldorfer unter S. keine Verstärkung von Düsseldorf ankommen konnte und weil der Commandirende aus unserm Kampfe sich die Lehre gezogen hatte : daß Muth nicht das alleinige Privileg des Militärs ist, besonders wenn man für eine höhere [Sache] als die des Dienstes eintritt. Eben rollte das Geschütz aus der Stadt. Alle hier auf den Vorposten lagernde Mannschaft hatte die ganze Nacht hindurch Dienst gethan und war bis zum Umfallen ermüdet; frische Kräfte waren mir nicht zur Hand, um den Feind zu attaquiren, was ich doch so gern gethan, um ihm, wo möglich, einige seiner Kanonen zu nehmen. So mußte ich ihn, mit seinen Wagen voll Verwundeter, und von seinen Uhlanen gedeckt, ruhig abziehen lassen. Daß er auch sieben Gefangene mit sich führte, war mir in diesem Augenblicke unbekannt. Doch andern Tages, als letztere entlassen wurden und von Düsseldorf wieder zurück kamen, erfuhr ich, daß es unschuldige Spießbürger waren, die weiter Nichts verbrochen hatten, als daß sie aus Neugierde ihre Häuser in der Vorstadt auf einige Augenblicke verlassen und sich den mit uns scharmützelnden Vorposten des Feindes am Grünenberger Abhange zu nah geschlichen hatten. Andere dieser Leute waren bei gleicher Veranlassung von den Soldaten im Dunkel der Nacht verwundet, eine Frau sogar an ihrem Fenster erschossen worden.

In die Stadt zurückgekehrt, sah ich an dem freudigen Getobe einer großen Menge Volkes in den Straßen, so früh am Morgen, daß die Flucht des Feindes schon allenthalben bekannt geworden. Ich eilte nach dem Rathhause, das ich leider die ganze Nacht über zu berücksichtigen vergessen hatte. Da sah ich, wie auch schon eine immer mehr und mehr wachsende Pöbelherrschaft ausgebrochen war, ja, wie bald nachher ein wahrer Terrorismus begonnen hatte. Dem mußte gesteuert werden und sogleich.

Als ich eintrat, war keine Behörde zu finden, weder Oberbürgermeister noch irgend ein Mitglied des Stadtrathes — weder Kreisrath noch Polizei; Jedermann war geflohen und hatte alle Appartements offen gelassen und dem Pöbel anheim gegeben. Nicht einmal der Kastellan war zu finden.

Dagegen liefen und lagen in allen Gängen und offenen Räumen allerlei wüste, abenteuerliche Gestalten mit Waffen der verschiedensten Gattungen im Arme. In den für größere Assisensitzungen – wie zu der über die nun entflohenen dreiunddreißig Gefangenen aus dem Burgthale eingerichteten Rathhaussaale hatten sich bewaffnete verschmutzte Kerle auf die Sessel der Richter und Vertheidiger und auf die Polsterbänke der Geschworenen zum Ruhen hingestreckt, und auch alle übrigen Sitz- und Liegeplätze des Saales waren von solchen Leuten eingenommen; nur die Armensünderbänke für die abzuurtheilenden Verbrecher hinter dem Geländer waren leer gelassen! Aehnlich war es in andern Zimmern und Büreaux.

Im Zimmer des Polizei-Inspectors fand ich zwei Leichen auf dem grünen Gerichtstisch, Arm in Arm, neben einander gelegt. Der Eine war der kühne Hauptmann von Uttenhoven, der gestern vor unserer Barricade fiel, von unsern Kugeln durchbohrt; sieben Wunden zählte ich an Kopf und Brust! Die andere Leiche war der Barricadenkämpfer, der neben mir gestanden und, mit einer Kugel durchs Herz, rückwärts von der Barricade taumelte ; es war einer der schweren Verbrecher, der unmittelbar vor seinem Heldentode gewaltsam aus seinem Kerker befreit worden war.

Welche Ironie des Schicksals! – Der noch in Tode stolze Adelige, mit dem Proletarier, der durch schweres Verbrechen sich an der Menschheit gerächt hatte, unbewußt und brüderlich vereinigt auf dem Schaubette des Todes! – Man sagte mir eben, daß wir an unseren Barricaden noch sieben oder acht weitere Todte gehabt; die Anzahl der Verwundeten wußte Niemand, da nur wenige in die Hospitäler, die meisten aber in die Häuser ihrer Angehörigen gebracht worden seien: – als mich plötzlich ein Paar mir bekannte Arbeiter beim Arme griffen. „Wir haben Sie allenthalben gesucht, um Sie auf den Bürgersaal zu holen!“ sagte der eine, und ging voran, mir durch eine Menge Anderer Platz machend, die auf mich vor dem Eingange des Saales zu warten schienen. Das Innere war voll gedrängt mit Fabrikarbeitern, meist Barricadenbauern und Barricadenkämpfern, die, wie sie sagten, seit gestern Mittag und die ganze Nacht hindurch entweder schwere Sachen herbei geschleppt und auf die Barricaden gehoben oder auf Posten gekämpft und gewacht hatten. In der That, Vielen war das Gesicht von Pulverdampf grau angelaufen und der Mund schwarz vom Abbeißen der Patronen. Sieben, den verschiedenen Abtheilungen des „Central-Arbeitervereins angehörige Abgeordnete“ nahmen mich in ihre Mitte. Ohne weitere Einleitung hielt Einer derselben mir ein großes Blatt Papier entgegen: „da! das sind die einunddreißig Hunde, die Sie gleich hängen müssen!“ so fuhr er mich barsch an. Mit dem ersten Blick auf das grauenhafte Blatt hatte ich die Namen der reichsten, „Banquiers und Rentiers“ Daniel und Carl von der Heydt, de Werth der Alte u. — der verhaßtesten „Fabrikherren“ Albert Wever, Louis Schniemand, Haarhaus u.; der heuchlerischsten „Frommen“ Judikar, Pastor Sander, Gymnasialdirector Bonterweck — und der liederlichsten „Schlemmer“ Rudolph Jung, Albert Reinhold, Schlieper, G. Lukas u. erkannt. Es wurde mir grau vor den Augen und fast schwindlich im Kopfe. Waren doch noch nicht viele Stunden verflossen, daß ich aufrecht im Kugelregen gestanden hatte, mit frischem klarem Auge um mich geschaut und mit fester Stimme einen zweifelhaften Kampf auf Tod und Leben geleitet; und jetzt zitterten mir meine Kniee, und die Worte erstarben mir auf den erstarrten Lippen! Meine Freunde wollten einige Tage nachher plötzlich die Entdeckung gemacht haben: „daß mein so dunkles Haar anfange, arg grau zu werden.“

Als ich noch immer auf das Todtenblatt stierte und mir noch immer nicht die Sprache kommen wollte, entstand ein dumpfes grausiges Gemurmel, durch das zuletzt einzelne Rufe deutlicher hörbar wurden: „der Kerl will an uns zum Verräther werden!“ „Was bedenken Sie sich denn lange?“ — „Da gibts nichts zu bedenken!“ und „Wenn der kleine Doctor es nicht thut, soll er mit den Andern baumeln!“ u. s. w. – Als ich sie endlich, schüchtern wie ein armer Sünder, mit hingestammelten Worten bat: ,,doch ja von solchen Gräuelthaten abzustehen“, da spannten sich Hähne und richteten sich Gewehre auf mich, und um mich herum wich man erschrocken zurück; — nur mein Turner, mein Adjutant und der junge Fabrikherr L., der mich zuletzt durch die Stadt und auch hierherbegleitet hatte, standen zu mir. Da aber war mir plötzlich Geist und Sprache zurückgekehrt.

„Hier ist meine Brust! die mögt Ihr durchbohren!“ schrie ich ihnen zornig entgegen hier mögt Ihr mein letztes Blut nehmen zu dem, das ich schon für Euch vergossen; das ist nicht so schlimm, als wenn Ihr feige schutzlose Bürger hängt! Aber das sage ich Euch, und Ihr seht, ich bin auch bewaffnet – vorher sollt, müßt ihr mich anhören, oder, bei Gott! ich wehre mich und tödte die, die ich bis jetzt beschützt habe!“ Unter diesen Worten spannte ich mit der einen Hand eine meiner Pistolen und zog mit der andern meinen Hirschfänger.

Nach einem kurzen Gerause hatte man die, welche mich bedrohten, entwaffnet und Einen, der sich noch immer widersetzte und auf mich eindringen wollte, aus dem Saale gedrückt. Er, wie die übrigen Gewaltthäter im Trupp, waren Auswärtige, die Niemand kannte. – Dann sprach ich zu ihnen, nicht lange, aber eindringlich, erst sie scharf abkanzelnd und dann zu ihrem Herzen redend. Ich kann die höchst eigenthümliche Rede nicht mehr zusammenbringen ihr erster Theil wurde sogar im Elberfelder Dialect gehalten — doch war ihr Kern folgender: „Wir sind Demokraten. Gerade jetzt, wo wir die Oberhand haben, müssen wir, muß die Demokratie sich auch praktisch als eine sittliche Partei – als die Partei der Humanität erweisen!“ — Während meiner Rede hatten sich immer mehr mit mir einverstandene um mich gedrängt, und als ich erschöpft schwieg, verließen nur Wenige murrend den Raum, Einige von ihnen mit der Drohung: ,, den Daniel (von der Heydt) schlagen wir doch todt, wenn der ihn auch nicht hängen will!“ Einige gingen ihnen auf meinen Wink nach, um ihren socialen Fanatismus zu bewachen.

Ich war zu wiederholten Malen in meiner Rede unterbrochen worden: „Wir wollen aber den Geldsäcken ans Leder!“ „Sollen wir uns denn umsonst gegen die Soldaten auf den Tod gewehrt haben?“ – „Wo aber sollen wir Geld herbringen für die Frau und die Kinder?“ – Haben doch all die letzten Tage nicht arbeiten können, und wer weiß, wann die Fabriken wieder gehen!“ einmal sogar: „Haben denn nicht die Fabricanten selbst es laut gewünscht, daß der König gezwungen werden müsse?“ worauf ein Anderer bemerkte: „ja! aber als es los ging, als man schoß, da hat keiner von den pfiffigen Herren sich mehr sehen lassen!“ Ich aber versprach, daß sogleich ein „Finanzausschuß aus den Besitzenden“ selbst solle gebildet werden, der für Arbeit und für die Bedürfnisse der Unbemittelten sorgen müsse; und wenn sie die Mittel dazu nicht freiwillig aufbrächten, sollten sie auf geregeltem Wege erzwungen werden. „Aber jetzt gleich sollen einige Thaler für jeden Barricadenmann gesammelt werden“, fügte ich hinzu, „und, bis daß die Fabrikherren mir’s zurückgeben, werde ich selbst au mein baares Geld, das ich noch zu Hause habe, beilegen.“ Auch der Fabricant L. sprach einige beruhigende Worte zu ihnen und sagte, daß seine Firma gleich „tausend Thaler für die Arbeiter“ beitragen und daß er diese sowie mein Geld sogleich holen, auf dem Wege noch bei einigen andern Freunden der Arbeiter anrufen und ihre Beiträge mitbringen werde. Auf sein Ersuchen begleitete ihn ein Mitglied des Arbeitercomite’s. Unterdeß schicke ich zu Pothmann, um das Hauptquartier der Landwehr aufs Rathhaus zu verlegen und dort auch die Handhabung der Polizei zu übernehmen. Doch, noch bevor dieser erschien, war die Angelegenheit mit den Arbeitern geschlichtet. L. kam mit „fünf und dreißig hundert und achtzig Thalern“ zurück, inclusive meiner „siebenhundert und achtzig Thaler“, meinem einzigen Nothpfennig, dem Rest der schwiegerelterlichen Erbschaft;

[…]

Man brachte die Nachricht aufs Rathhaus und zwar durch zwei sich rasch einander folgende Boten: „ein bewaffneter Volkshaufe wolle das prachtvolle Haus des Daniel von der Heydt demoliren und ihn selbst aufhängen, und da die Besatzung der äußern Barricade, welche den stürmenden Volkshaufen von Daniels Haus fern halte, zu schwach sei, und doch nicht in die Menge hinein schießen wolle, so thue rasche Hülfe Noth.“ […] „Wenn die Person des Daniel unter einer Schußwache nicht mehr sicher in seinem eignen Hause ist, so arretiren Sie den Herrn sofort, aber so, daß das Volk es sieht, und schicken ihn zu mir in die Postpassagierstube der Post; dort ist er einstweilen am sichersten“ so bedeutete ich ihm.

Elberfeld, 10. Mai 1849.

Der Sicherheits – Ausschuß:
in der Post-Passagier-Stube. Bürger! Die Stadt ist in den Händen des Volkes. Das Volk muß jetzt zeigen, daß es ihm um wahre Freiheit zu thun ist. Darum darf nicht ein Einzelner über die Person und das Eigenthum bestimmen. Noch weniger wird das Volk Person und Eigenthum antasten. Des freien Volkes Wahlspruch sei: Unverletzlich sei die Person! Heilig sei das Eigenthum!
Der Sicherheits-Ausschuß.
Für denselben:
Körner.

Man hatte den Banquier , Daniel von der Heydt“, dessen Bruder bei der letzten Octroyirung „Minister des Handels“ geworden, zur Sicherung seiner Person, als Gefangenen aus seinem Hause in unser enges Sigungslocal führen müssen. Als ich bald nachher in die Passagierstube eintrat, saß der sonst so hoch empor ragende Mann zusammengeknickt und bleich wie der Tod auf einem alten Ledersopha in der Ede des kleinen Zimmers. Bei meinem Anblicke bedeckte er mit beiden Händen das Gesicht und schluchzte. Ich versuchte ihn über seine Sicherheit zu beruhigen. „Warum haben Sie mich verhaften, mich aus dem Schooße meiner Familie reißen lassen ?“ – unterbrach er mich. Weil Sie bei uns vor den Angriffen des erzürnten Volkes sicherer sind, denn irgend anderswo!“, erwiederte ich ihm und wieder seufzte der stolze Mann unter Schluchzen. […]

Die nothwendige Ausübung der Polizeigewalt war eine unserer schwierigsten Aufgaben. In der ersten Nacht und am ersten folgenden Tage war sie in der gewöhnlichen Form fast unmöglich; Excesse konnten nur durch die moralischen Einwirkungen weniger einflußreicher Persönlichkeiten verhindert werden. Ich erinnere nur an das Volksurtheil über die einunddreißig Geldaristokraten am ersten Frühmorgen! Aber auch später, besonders am letzten Tage unseres Regimentes, gab es Momente, wo man daran fast verzweifeln mußte, die exaltirten Massen von den blutigsten Excessen zurückhalten zu können. Ja, in solchen Augenblicken war schon von den ernstesten Maßregeln, von Standrecht und Exrecution die Rede, indem man ernstlich meinte, daß es nun ohne solche Mittel unmöglich sein werde, die Ordnung aufrecht zu erhalten. […]

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