14. Mai 1849 – Elberfelder Barrikaden

Erft am vierten Tage unserer Revolutionswirthschaft gewann ich mir bei Tage eine Stunde Freiheit, einen Rundgang durch die Stadt zur Besichtigung unserer Befestigungen zu machen. Obgleich man eine Menge überflüssiger und den innern Verkehr hindernder Barricaden weggeschafft hatte, so gab es deren doch noch mehr denn achtzig und jede trug eine mehr oder minder brillante „Deutsche Einheitsfahne“. Durch manche hatte man Passageöffnungen für Wagen, durch viele solche für Personen gemacht. Eine große Menge derselben waren in einem erbärmlichen Zustande: ein gutgerichteter Sechspfünder hätte den ganzen Bau zertrümmert; eine derselben bestand factisch nur aus dem gesammten Gerumpel eines Altkäufers, der, als er mich sah, mir in wortreicher Weise sein ihn „total-ruinirendes Malheur“ klagte; ich versprach ihm, daß der Sicherheitsausschuß bei errungenem Siege sein Möbelmagazin auf der Barricade versteigern solle, und jedes Mitglied ein Stück ansteigern werde als Andenken an die große Sache; damit kam ich von ihm los. In der Nähe der Post hatte man mehrere der schwersten Postgüterwagen auf eine künstliche Weise ineinander gefahren, auch an anderen Stellen Karren ineinander geschoben und die Zwischenräume mit Steinen ausgesetzt. In einigen befand sich auch zwischen den Last- und Fuhrkarren eine umgestürzte Equipage und diese mit Pflastersteinen ausgefüllt; ja an des Fabrikherrn Wülfings Haus sah man in diesem Zustande dessen eigne Prachtequipage, die mit Silber beschlagen und deren himmelblaues Sammtpolster mit Silbersternchen befestigt war, – inseitig aus Malice, aber gewiß gegen den Willen des Ingenieurs P. geschehn. Die aller besten Barricaden waren die, welche man aus Ballen Türkischroth-Garn und Twist (gezwientes Baumwollengarn), eine sogar blos aus Ballen roher Seide (seidene Garnstränge) aufgebaut hatte; die würfelartigen Ballen waren wie Mauersteine mit regelrechten wechselnden Fugen übereinander gethürmt! Einige der Barricaden hatte der Volkshumor, außer mit einer schwarz-roth-goldenen Fahne, auch noch anderweitig mit Mayen und Kränzen verziert; ja, ein Humorist hatte auf eine derselben ein Blumenkorb-Tischchen voll Blumen gestellt, quer darüber aber ein Paar sich kreuzende Brandfackeln gelegt. Am Fuße jeder der Barricaden stolzirten ein Paar bewaffnete Wachtposten mit der wichtigsten Miene von der Welt auf und ab, und wenn auch alle verschieden in der Kleidung – der Eine in einer Blouse, ein Anderer in einem alten Infanterierode aber alten CylinderFilzhut, ein Dritter in einem beschnürten polnischen Rode und ein Vierter in einem Manchester-Ramisol und Tichako —, hatte doch jeder ein schwarz-roth-goldenes Band an sich flattern. Ueberhaupt schien man den ganzen Vorrath der Fabriken in Schwarz-roth-gold in Anspruch genommen zu haben, so voll und lebhaft schimmerte dies überall hervor. Auch die Riesenbarricade an des Oberbürgermeisters demolirtem Hause stand noch und in ihr lag noch der Wiener Flügel, dessen Mechanik eine Kanonenkugel zu Tage gelegt hatte. Hier in der Straße, welche die Rückwärtsverlängerung der Herzogstraße bildet, standen immer ganze Gruppen calculirender Neugieriger, sich die Häuser ansehend, deren Giebel am vorigen Mittwoch von Kanonenkugeln gestreift worden waren. Niemand konnte begreifen, wie die Bresch-Streifen hoch oben am dritten Geschoß hatten gemacht werden können, wenn die königliche Artillerie die Barricade mit ihren Kämpfern hatte niederschmettern wollen. Allerdings machten die eingerissenen Schußlinien an den Giebeln an 15 Grad mit dem Horizonte, während vielleicht 3 Grad noch zu hoch gewesen wäre. Doch, die Soldaten hatten eben nicht auf ihre deutschen Mitbürger zielen wollen, und die Officiere konnten nicht dazu kommen, es selbst zu thun.

[…]

Leider war damit auch schon der Höhenpunkt der Revolution in diesem Theile von Deutschland erreicht! von da an ging es schneller, weit schneller abwärts, als wir hinaufgekeucht waren. » A cader va, chi troppo alto sale.«

Schon die Niederlage der Demokraten in Düsseldorf und der Tod ihrer tapfersten Führer – wie der des Malers Wilewski – auf den Barricaden, die nur von diesen und wenigen Andern, aber nicht vom so mundfertigen Düsseldorfer Volke selbst waren vertheidigt worden, hatten sehr niederschlagend gewirkt.

Noch niederschlagender aber war für jeden Ort in unserer Aufstandslinie die Nachricht, daß es in Cöln der „ultramontanen Partei“ durch Ohrengeflüster ihrer eifrig in allen Pfarreien herumschleichenden Capläne gegen die Freidenkerischen und ketzerischen Paragraphen in den deutschen Grundrechten“ gelungen war, die Cölner Bürger und Arbeiter von der Theilnahme an einem Aufstande abzuhalten, — in Cöln, in dessen Schooß doch der Mittelpunkt unserer Bewegung verlegt werden sollte! Am Abend, der für den Ausbruch bestimmt war, wurden zwar von bestellten Arbeitern Barricaden gebaut, auch ging ein Trupp Männer mit einer Lärmtrommel umher; aber während der Eine sie schlug, sahen sich die Andern um, ob sie — nämlich die Barricaden-Kämpfer — kommen würden. Sie kamen aber nicht. Denn das maulfreche Volk war in seinen Häusern geblieben und blieb auch da, – verstohlen durch die Spalten der wenig geöffneten Thüren lauernd, um zu ermitteln: „wer denn nun eigentlich die Barricaden vertheidigen werde?

Endlich war auch in Bonn, hier aber durch das „Bemühen des (respectablen!) Bürgervereins“, die Ruhe der Stadt erhalten worden; den Studenten aber, besonders denen der theologischen Facultät, hatten ihre Professoren gesagt: „daß das Ganze nur eine Bewegung der Deutschkatholiken sei.“ Auch das Rinkel-Anneke’sche Unternehmen gegen Siegburg war mißlungen, da hier das Zeughaus schon von einem Regimente preußischer Dragoner besetzt worden war.

Dies Alles hatte schon, wie gesagt, allerorts und mithin auch auf die Elberfelder Bewegung, sehr niederdrückend gewirkt. Wie viele der niederdrückenden Momente überwucherten nun auch manche, wie durch einen Zauberschlag hervorgerufen, rasch die Entwicklung der Verhältnisse in Elberfeld!

Beide Male, am 10. und auch am 14. Mai, wo wir die „Vereidigung der Elberfelder Bürgerwehr auf die Reichsverfassung“ und die „Entwaffnung der Weigernden“ versucht, hatte sich auf dem bezeichneten Sammelplatze nur ein kleiner Theil derselben eingefunden; mit drei Compagnien allein war die Vereidigung gelungen, und das Commando der übrigen hatte nur sein Wort gegeben: „nicht gegen Landwehr und Freischarler zu agiren und die Waffen alsdann auf dem Rathhause abzugeben, sobald Militär anrücken würde“. […]

Alles dieses geschah theils aus reactionären Gelüsten, theils aus wirklicher Scheu vor dem „communistischen Treiben“ des literaten Engels. Als derselbe in einer der Nächte heimlich die deutschen Tricolorfahnen von einer Reihe von Barricaden weggenommen und sie durch „rothe Fahnen“ theils die rothen Fenstergardinen aus des Oberbürgermeisters demolirtem Hause, theils Stränge Türkischroth Garns – ersetzt hatte, da war die Aufregung am frühen Morgen unter dem Volke so groß, daß ein Gegenaufstand nur durch die schleunigste Wegräumung der rothen Feßen, und eine Mißhandlung Engels nur durch seine „Entfernung aus der Stadt“ verhindert werden konnte. Doch, das Mißtrauen vieler, selbst mancher der besseren Bürger, war nicht mehr zu beseitigen. Hat doch damals der Commandirende des heranziehenden preußischen Armeecorps, der Graf Von der Gröben, in einem Aufrufe die „rothen Fahnen in Elberfeld“ als eines Beweises erwähnt, daß ,,es sich dort nicht um die Reichsverfassung, sondern bloß um die rothe Republik“ handle!

Daneben wuchs aber auch noch in der ganzen Spießbürgerschaft Elberfelds und Solingens der Wunsch nach der baldigen Wiederkehr eines geordneten Zustandes immer mächtiger hervor, genährt theils durch die Angst vor jenem rothen Gespenst des Communismus, theils durch die Furcht vor möglichen Excessen der fremden Bewaffneten, und überdieß noch angefacht durch die heimlichen Aufreizungen der Frommen im Thale. Natürliche Gründe für solchen Wunsch waren aber der Druck der Einquartierung, das Ausbleiben der meisten Gemüse- und Victualienhändler aus Düsseldorf und Dortmund vom Wochenmarkte, und die gänzliche Stockung des kleinen Verkehrs, die besonders durch die Auswanderung der am Meisten kaufenden Geldaristokratie hervorgerufen wurde.

Fast noch drohender wuchsen die Widerwärtigkeiten in dem das Ganze leitenden Sicherheitsausschusse selbst. Es gehörte wahrlich eine stählerne Natur dazu, außer den aufregendsten Hoffnungen, Täuschungen und Conjecturen noch die körperlichen und geistigen Anstrengungen auszuhalten, denen Jeder von uns Tag und Nacht ausgesetzt war. […]

Eine andere, früher so bedeutende Stütze unserer Sache wurde mit jedem Tage näherer Entwicklung zu allgemeinen und entscheidenden Kämpfen schwächer nicht schwächer am Körper, wie Riotte, sondern an dem Willen: ,, Alles an die Durchführung der begonnenen Revolution zu setzen“ : es war der Wille meines sonst so höchst achtungswerthen und aufopferungsfähigen Freundes Carl Hecker. Von je her geneigt, bei allen Freiheitsbestrebungen immer den sogenannten „Boden des Gesetzes“ unterm Fuß zu behalten, und wenn er ihn ja einmal verlassen, sich auf den „passiven Widerstand“ zu beschränken, blieb er mit einem warmen Herzen fürs Allgemeine der Freiheitsbestrebungen und kühnem Vorgehen in parlamentarischen Kämpfen, ein kalter Verstandesmensch in concreten Fällen. War es ihm doch schon hart angegangen, officielles Mitglied unsere Ausschusses zu werden, härter noch, die Mitinspection über den Weiterbau und die Erhaltung der Barricaden zu übernehmen; am härtesten, mit der Wegnahme der Eisenbahnschienen zwischen hier und Düsseldorf und Dortmund betraut zu werden. Als die reactionäre Bürgerwehr entwaffnet und ihr verkappter Chef „Von Wedell“ verhaftet werden sollte, protestirte er sogar heftig gegen „solche Gewaltsamkeiten“. […]

Auch war es besonders Hecker, der die Absendung einer Deputation Philippi, Pagenstecher und Simons-Röhler nach Berlin betrieb, nicht, um den wahren Zweck des Aufstandes vor den König zu bringen, sondern um eine „Amnestirung“ der Landwehr anzubahnen!

Und immer schneller und schneller brach das Verderben herein!

Viele der berührten niederdrückenden Momente, und auch die folgenden gleicher Wirkung, würden jedoch nicht hervorgetreten fein, wenn wir erwünschte Nachrichten von der deutschen Nationalversammlung erhalten hätten. Das war aber nicht der Fall; wir erhielten zwar endlich directen Bescheid, aber dieser war für die Bewegung in Westpreußen entscheidend. Er ging von den beiden Fractionen des Parlaments, dem „Deutschen Hause“ und den ,,Donnersberg“ aus. Obgleich der Bescheid an mich gerichtet war und ich ihn die ersten Tage auch keiner Seele mitgetheilt hatte, war er doch bald an allen Orten im Bergischen, in Iserlohn und am Niederrhein bekannt, und übte daselbst seine niederschlagende Wirkung. „Das Parlament“ so schrieb man „ist zerrissener und darum unfähiger zum Handeln als je. An officielle Anerkennung Eurer Bewegung ist nicht zu denken, und ebensowenig an einen bevollmächtigten Civilcommissar!“ Dann hieß es weiter, an mich persönlich: „Sparen Sie Sich doch ja für einen günstigern Moment, der gewiß nicht fern ist; wir können Sie dabei nicht entbehren“. – War das das „Durate, et vosmet rebus servate secundis“ von Virgil ? –

Gleich den andern Tag, als wir schon das grauenhafte Endschicksal der Dresdener Demokraten in ihrer in Flammen geschossenen Stadt erfahren, kamen Boten von Iserlohn mit der Schreckensnachricht: daß das Volk dort durch das indifferente Verhalten des Parlamentes zu dem handelnden Theile des Volkes und durch die Kunde von dem Anmarsch der Regimenter, die in Dresden so grausam gehaust, entmuthigt sei; daß Riepe’s Schaar sich täglich vermindere und dieser, trotz des kräftigen Gegenwirkens des edlen Butz und Post, im Begriff fei, den Rest nach Hagen zurück zu führen und dort aufzulösen. Auch wurde berichtet, daß verkleidete militärische Anführer aus der königlichen Armee der Barmer und Gemarker, ja selbst der Elberfelder reactionären Bürgerwehr zugeführt seien. […]

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