Barmer Zeitung Nr. 221

Entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989.

22.9.1863

Herr Lassalle

hat gestern in dem Lokale des Herrn Halbach, Sanssouci genannt, gesprochen oder, wenn man will, geschimpft. Nach einem dreimaligen Hoch aus Lassalle, ahmte der Bevollmächtigte des deutschen Arbeitervereins für Elberfeld das Beispiel, welche Herr Wolff zur Zeit auf der Wolkenburg gegeben, ganz getreu nach, indem er sich sofort als Präsident der Versammlung präsentierte. Hierauf bat er die Versammlung, welche 1000 Mann stark war, um Unterstützung in dem schwierigen Amte des Präsidiums und machte auf die Wichtigkeit der Versammlung aufmerksam. Nach einem abermaligen dreimaligen Hoch auf Herrn Lassalle erschien der Präsident des deutschen Arbeitervereins auf der Rednerbühne, um wie er sagte, Heerschau über seine Getreuen zu halten und nicht, um lange Reden zu sprechen. Herr Lassalle bekundete mit dieser Bemerkung von vornherein seine Wahrheitsliebe, indem er keine lange Rede hielt, sondern von fünf Uhr Nachmittags bis beinahe neun Uhr Abends über die Presse, über Zeitungsverleger, Zeitungsschreiber, über Fortschrittler, und Bourgeois in klassischer Weise schimpfte. Dieses Schimpfen leitete aber Herr Lassalle mit einer Apotheose seiner selbst und einer Empfehlung seiner Broschüren ein. Auch hatte er die Gnade, die Broschüre des Herrn Heß, des Bevollmächtigten des deutschen Arbeitervereins für Köln, höchst wohlwollend im Empfehlung zu bringen. Hierauf hob der Redner die energische Haltung des Arbeiterstandes beim Beginne der Bewegung hervor, nannte mit vollständigem Rechte diejenigen elende Menschen, welche behauptet hatten, daß er in seiner Arbeiteragitation nur ein erkauftes Werkzeug der Reaktion sie und forderte alle Arbeiter auf, sich von den erbärmlichen Zeitungsschreibern unabhängig zu machen. Herr Lassalle stellte sich nun als der Mann hin, der allein einen Kampf mit der ganzen Welt auskämpfen könne, er behauptete, daß er allein die Kühnheit gehabt habe, gegen die Fortschrittspartei Front zu machen. Er habe damals, als der Conflikt [gemeint ist der preußische Verfassungskonflikt um die sog. Lückentheorie, Anm. JNK] zwischen Regierung und Volksvertretung in seiner ganzen Schärfe zum Vorschein gekommen sei, das Abgeordnetenhaus aufgefordert, jede Verbindung mit der Regierung abzubrechen und ins Volks zurückzukehren. Herr von Bismarck hätte sich , da daß Abgeordnetenhaus durch die Auflösung desselben verdient gemacht. Hätte Herr v. Bismarck die Fortschrittler ruhig im Abgeordnetenhaus sitzen lassen, so säßen sie noch da und zwar sich selbst und dem Volk zum Ekel. Die Fortschrittler hätten, anstatt über die durch Herrn von Bismarck erlitten Niederlage Buße zu thun und sich in Sack und Asche zu hüllen, Saturnalien gefeiert und sich trotz aller Niederlagen nach rechter Art der Bourgeois bei Wein und Braten gütlich gethan.

Diese Behauptung wurde von dem Pfeifen eines Einzelnen begrüßt. Herr Lassalle schwieg und so erschollen mehrere Bassermannsche Stimmen mit dem Rufe: „Schmeißt ihn heraus.“ Nach einigen tumultösen Recherchen über den pfeifenden Attentäter erklärte Herr Lassalle, daß alle Anwesende, die nicht zum deutschen Arbeiterverein gehörten, nur geduldete Gäste sein und daß er falls noch einmal derartige Störungen vorkämen, er von den ihm zu Gebote stehenden Mitteln Gebrauch machen und die Ruhestörer entfernen lassen würde. Er könne und dürfe Solches nicht dulden, da tausende mit der größten Aufmerksamkeit an seinen Lippen hingen.

Trotzdem daß Tausende an den Lippen des Herrn Lassalle hingen, entströmten dem schwer beladenen Lippen des Redners die niederträchtigsten Redensarten gegen die Presse. Die Presse wurde eine Feindin des deutschen Volksthums genannte, es wurde ihr Feigheit gegen den Herrn von Bismarck vorgeworfen, von den Redakteuren behauptete Herr Lassalle, daß sie ihre Seele verkauft hätten. Die Zeitungsschreiber wurden überhaupt mit Stiefelputzern auf eine Stufe gestellt und erklärt, daß jetzt nur Zeitungsschreiber von metier und nicht Beruf existierten. Dann schwur Herr Lassalle der Presse Haß und Verachtung, Tod und Untergang und imdem er eine theatralische Stellung annahm, erhob er den rechten Arm, um wie ein zweiter donnernder Jupiter den zerschmetternden Blitz unter daß verruchte Gesindel der Zeitungsschreiber zu schleudern. Aber bei dieser theatralischen Bewegung entfiel Herrn Lassalle das Gewand der heiligen Entrüstung, in welches er sich gehüllt hatte und es kam die armselige Reklame zum Vorschein, die Reklame, sagen wir, die Herr Lassalle als den einzigen materiellen Zweck der heutigen Presse ausgestellt weshalb er die Presse als gemeines Schacherinstitut verurtheilte.

Herr Lassalle behauptete nämlich, daß der Nordstern und der Volksfreund die einzigen respektablen Tagesblätter seien. Genannte Blätter vertreten aber die Ideen des Herrn Lassalle. Wenn wir dieses allein ins Auge fassen so zerfällt die von Herrn Lassalle ausgesprochene Beurtheilung der Presse und der Fortschrittspartei in nichts, denn sie wurden nur eben deshalb verurtheilt, weil sie nicht auf Seiten von Hrn. Lassalle steht.

Nach dieser Reklame für den Nordstern geruhte Herr Lassalle, eine Pause zu dekretieren. Beim Beginn der Pause hat einer der Anwesenden um das Wort. Es wurde ihm entgegnet, daß Herr Lassalle nur zu reden habe. Darauf begab sich der also Abgefertigte auf seinen Platz zurück, stellte sich auf einen Tisch, um die Anhänger der Fortschrittspartei und die Freunde von Schulze-Delitzsch [Mitbegründer der Deutschen Fortschrittpartei 1861, preußischer Abgeordneter, Anm. JNK] aufzufordern, sich zu entfernen. Doch plötzlich verschwand der Mann von dem Tische. Ein mehrmaliges Hoch auf Schulze-Delitzsch an dem Ausgange aus dem Saale zerfetzte Regenschirme und Stühle wurden in schwunghafter Bewegung in der Luft sichtbar. Biergläser flogen in langen und kurzen Bogen wie die Granaten nach dem Ausgange des Saales. Ein zerrissener Rock eines Polizeisergeanten und ein blutendes Haupt wurden sichtbar.

Nach Herstellung der Ordnung erklärte Herr Lassalle, daß die vorgekommenden Dinge eine Privatsache seien und mit der Versammlung nichts gemein hätten. Daraufhin ging es wieder in gewohnter Weise los, und die Lippen des Herrn Lassalle schienen sich leichter zu bewegen als früher, denn es hingen an denselben nicht mehr Tausende, sondern nur noch etwa zweihundert. Die Herren Schulze-Delitzsch und von Benningsen [liberaler Politiker, Mitgründer und Vorsitzender des Deutschen Nationalvereins, Anm. JNK] wurden nun verarbeitet und förmlich mit Gift und Galle überschüttet. Von Herrn Schulze Delitzsch wurde behauptet, daß er in seiner Geschwätzigkeit die Geheimnisse der Partei verrathe. Schließlich ließ Her Lassalle die Anwesenden mit aufgehobener Rechte schwören, daß sie gehört, wie die Fortschrittspartei keinen Umschwung der Dinge wolle. Auch hatte Herr Lassalle noch die Gnade die Arbeiter aufzufordern, für die Fortschrittler bei der Wahl zu stimmen, denn dieselben würden den Zustand Preußens schnell so faul machen, daß bald ein anderer und besserer Zustand sich entwickeln müsse.

Hiernach verlaß Herr Maler Röttgen aus Elberfeld ein Gedicht. Nachdem diese Gedicht gelesen, bat Dresemann aus Barmen mehreremal um das Wort. Ihm wurde von des Vorsitzenden entgegnet, daß Herr Röttgen Mitglied des Arbeitervereins sei. Der Sinn dieser Worte wurde darauf von einigen anderen Mitgliedern dem um das Wort Bittenden dahin erklärt, daß nur Mitglieder des Vereins das Recht zum Sprechen hätten. Dresemann erklärte hierauf Herrn Lassalle, daß es eine Niederträchtigkeit sei, in einer Versammlung, in welcher Jeder gegen ein Entree von 2 1/2 Sgr. freien Zutritt gatte, über Anwesende in solch roher Weise zu urtheilen, ohne denselben das Recht der Gegenrede zu gestatten. Herr Lassalle erklärte, daß er nicht von einzelnen Personen sondern von dem Institut der Presse in seiner jetzigen Art und Weise gesprochen und daß er während seiner Rede auch einiger löblicher Ausnahmen gedacht habe. –

Unsere Meinung geht nun dahin, daß Herr Lassalle, in der Ueberzeugung von seiner alleinigen Redefreiheit die in der Presse herrschenden Schäden in einer seinem Talente und seinem Wissen entsprechenden Weise hätte geißeln können. Aus der Art, wie Herr Lassalle aber die Presse gegeißelt hat, konnten wir den Mann nicht erkennen, der auf dem Gebiete der klassischen Wissenschaften Großes durch die Herausgabe des Heraklit geleistet hat. Kein vernünftig denkender Mensch wird in dem Herrn Lassalle, der sich gestern in Barmen als Demagoge von Metier gezeigt hat, den klassisch gebildeten Herrn Lassalle herausgefunden haben. Zum Schlusse wollen wir Herrn Lassalle noch bemerken, daß er durch sein Auftreten nur Propaganda für den Herrn Schulze-Delitzsch gemacht hat.