„Statuten und Einrichtungen für das Gymnasium in Elberfeld unter dem Patronat der evangelisch reformirten Gemeinde. Erneuert und genehmigt 1823”

StA Wuppertal, L II 156

entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989

1823


§1
Zweck und Bestimmung des Gymnasiums

In dem Gymnasium in Elberfeld soll veredelte Menschenbildung auf dem Wege der Religion und Wissenschaft, dem die Erwerbung technischer Fertigkeiten zur Seite steht, im Allgemeinen erstrebt werden. Das Ziel, welches das Gymnasium als solches in seiner obersten Stufe zu erreichen hat, ist demselben, wie allen Gymnasien in den Königlich Preußischen Staaten, in dem Allerhöchsten Edict vom 12. October 1812 vorgeschrieben, und bezweckt die Vorbereitung und Bildung des künftigen Gelehrten, bis zu der Stufe, wo ihre Vollendung unmittelbar auf der Universität erlangt werden kann. Diese Bildung ist der wesentliche, der Hauptzweck der Anstalt; sie wird indeß nicht ausschließend bezweckt; es schließt sich vielmehr an diese, die Erziehung und Vorbereitung solcher Schüler, welche unmittelbar aus dem Gymnasium in die bürgerlichen Geschäfte übergehen, ohne jedoch den Hauptzweck zu stören, und ohne der Schule die nöthige Einheit im Streben zu nehmen.

§2
Lehrgegenstände

Die Unterrichts=Gegenstände, welche zur Erreichung des angegebenen Zweckes führen und gelehrt werden, sind folgende:

1) Religionsunterricht bis zu einer wissenschaftlichen Kenntniß der christlichen Religion, ihrer Glaubens und Sittenlehren der heiligen Schrift und ihrer einzelnen Bücher, und einer Uebersicht der christlichen Kirchengeschichte.
2) Deutsche Sprache bis zu einer tieferen Kenntniß ihres Baues und ihrer Regeln, zu einer Fertigkeit in mündlicher und schriftlicher Darstellung, zu einer Bekanntschaft mit den klassischen Werken der deutschen Literatur.
3) Lateinische Sprache, mit strenger Gründlichkeit in Hinsicht der Grammatik, bis zu einer Sicherheit und Fertigkeit im Verstehen ihrer klassischen Schriftsteller, und im mündlichen und schriftlichen Ausdruck.
4) Griechische Sprache, vorzüglich als Mittel höherer allgemeiner Bildung in gleichem Grade wie die Lateinische, nur mit Ausschluß des mündlichen Ausdrucks in derselben.
5) Hebräische Sprache, hauptsächlich nur in grammatischer Hinsicht.
6) Französische Sprache, mit grammatischer Begründung und häufigen practischen Uebungen im Sprechen und Schreiben.
7) Eine allgemeine Sprachlehre; nur in der obersten Klasse, nachdem die Gesetze der einzelnen vorher genannten Sprachen bereits vollständig aufgefaßt sind.
8) Mathematik in ihrer doppelten Richtung, hauptsächlich als Mittel der formellen Bildung, jedoch mit häufigen Uebungen in der Anwendung ihrer Lehren, wenigstens bis zur ebenen Trigonometrie und der Lehren von den Gleichungen höherer Grade einschließlich.
9) Naturlehre und Naturbeschreibung, zu einer genaueren und wissenschaftlich begründeten Kenntniß der Natur, ihrer Kräfte und Erscheinungen
10) Geographie und Geschichte, in wechselseitiger Verbindung bis zu einer Uebersicht des gesammten Feldes beider Wissenschaften; einer genauern Bekanntschaft mit der griechischen, römischen, und deutschen Geschichte, verbunden mit einer Kenntniß der Staatseinrichtungen dieser Völker in verschiedenen Zeitaltern.
11) Gesang=Unterricht, bis zu einer wissenschaftlichen Kentniß der Grundsätze dieser Kunst, und einer Sicherheit in der Rhytmik, Methodik, und Dyſn]amik, womit die Bildung eines Chores, für kirchliche Zwecke zu verbinden ist.
12) Schreib=Unterricht bis zur Gewöhnung der Hand an eine leichte und gefällige Handschrift.
13) Zeichnen – Wenigstens zur Entwickelung und Uebung des Talents nach einer naturgemäßen Methode.
Wenn gleich die Logik als Wissenschaft zu den Gegenständen des Unterrichts gehört, so soll doch jeder Unterricht, vorzüglich der Mathematische und Grammatische eine practische Uebung ihrer Gesetze enthalten. Die allgemeine Sprachlehre wird Veranlassung zur Entwickelung des Denkens geben.

§3
Nähere Erklärung über einzelne Gegenstände des Unterrichts.

Von der gehörigen Verarbeitung dieser Gegenstände als Lehrmateriale und deren richtigen Vertheilung in den verschiedenen Klassen hängt gar sehr der gute Erfolg ab.
Unter den angegebenen Lehrgegenständen ist außer der hebräischen und griechischen Sprache keiner, den nicht jeder Schüler mit gleichem Nutzen betreibt. Von Erlernung der Hebräischen Sprache sind jene Schüler, die sich der Theologie, der Philologie oder überhaupt dem höhern Schulfach nicht widmen, auf Verlangen befreit; die Dispensation vom Griechischen kann in der Prima gar nicht, in den übrigen Klassen nur auf einen ausdrücklichen Revers der Eltern oder deren Stellvertreter: daß der betheiligte Schüler für ein höheres wissenschaftliches Studium, wozu er der Vorbereitung auf der Universität bedürfe, nicht bestimmt sei und auf alle übrigen damit verbundenen Vortheile verzichte, ertheilt werden;

Von allen andern Unterrichts=Gegenständen findet gar keine Dispensation statt. Der Unterricht in der christlichen Religion ist ein höchst wichtiger Theil der Schulbildung, und darf daher nur von einem Prediger unserer Gemeinde, oder von dem Director – im Fall derselbe als Kandidat der Theologie geprüft worden ist – in Uebereinstimmung mit den symbolischen Büchern ertheilt werden; denn es soll an Niemand der Religions=Unterricht übertragen werden, der nicht als Kandidat der Theologie geprüft ist. Bis dahin, daß einer der Prediger diesen Unterricht übernehmen kann, hat der Director, wenn er Theologie studirt hat, den Religions=Unterricht ganz zu ertheilen, und es sollen zuweilen, wie beim Anfange und Schlusse eines Lehr=Cursus, oder bei andern wichtigen Vorfällen diese Religionsstunden allgemeine Andachtsstunden für alle Schüler und Lehrer sein.

Kein Nicht=evangelischer Schüler ist verpflichtet, am Religions=Unterricht Theil zu nehmen; jedoch ist auch keiner wider seinen Willen davon ausgeschlossen.

§4
Klassen des Gymnasiums

Der eigentliche Gymnasial=Unterricht soll auf vier überall getrennte Klassen, und zwar in einem lückenlosen Fortschreiten durch die drei Bildungsstufen, wie folgt, vertheilt werden:

Die vierte Klasse muß der Quinta und Sexta eines vollständigen Gymnasiums gleich stehen, oder die untere Bildungsstufe für den höhern Unterricht umfassen, und daher in zwei Abtheilungen nach einem zweijährigen Cursus gesondert sein. Die dritte Klasse umfaßt die mittlere Bildungsstufe, oder Tertia und Quarta, etwa mit Annahme der Ober Tertia; sie ist daher ebenfalls in zwei Abtheilungen nach einem zweijahrigen Cursus getrennt. Die zweite Klasse steht der Secunda gleich, und nimmt in ihrer Unterabtheilung die Ober=Tertia mit auf; der Cursus ist ebenfalls zweijährig

Die Erste Klasse muß durchaus keine fremdartigen Theile in sich enthalten, sondern ganz rein der Prima eines Gymnasiums gleich stehen, welches sechs getrennte Klassen zählt.

Das Gymnasium zu Elberfeld hat demnach nur vier getrennte Klassen für den höhern Unterricht, welcher die Vollendung des Elementar=Unterrichts in seiner Unter=Stufe voraussetzt; es umfaßt aber die sechs Klassen eines Gymnasiums nach der obigen Vertheilung, gemäß der hohen Konsistorial=Verordnung vom 3. August 1818.

Die Klasse ist nach der letztern zu bestimmen, in welcher der Schüler sitzt; z.B: wer zur obern Abtheilung der vierten Klasse gehört heißt ein Quintaner u.s.w.

Außer den vier getrennten Klassen für den höheren Unterricht, wird eine Vorbereitungsklasse innerhalb den Grenzen einer Elementarschule bei dem Gymnasio sein, in welcher ein besonders dafür erwählter Elementar=Lehrer unterrichtet. Außer dem zu ertheilenden Elementar=Unterricht wird in dieser Klasse der Anfang mit dem Latein gemacht, um die Vereinigung der Quinta und Sexta in einer Klasse zu erleichtern.

§5
Dauer der Schulzeit

Die tägliche Unterrichtszeit dauert sechs Stunden. Im Sommer fängt die Schule Morgens um 7. Uhr an und dauert bis 10. Uhr; Im Winter=halbjahr von 8 bis 11; Nachmittags immer von halb zwei bis halb fünf Uhr. Der Samstag Nachmittag ist frei.
Die hebräische Sprache, Kalligraphie, Zeichnen und Gesang werden außer der Zeit des gewöhnlichen Unterrichts in Nebenstunden gelehrt.
Das Schuljahr beginnt mit dem Herbst im Monat October.
Die Dauer des vollständigen Schul=Cursus beträgt gewöhnlich 9 bis 10 Jahre für Schüler die mit dem Achten Jahre die Schule zu besuchen anfangen. Es ist indeß diese Zeit nicht gesetzlich, und es kommt auf die Talente, den Fleiß oder den künftigen Beruf des Schülers an, ob er früher absolvieren könne. […]

§8
Lectionsplan – Lehrbücher

Jährlich zu Anfang des Monats July, revidirt und entwirft der Director nach vorhergegangener Berathung mit sämmtlichen Lehrern in der Conferenz, nach Maaßgabe des Bedürfnisses des Gymnasii, und innerhalb der, für dasselbe jedesmal bestehenden Unterrichtsverfassung, den Lectionsplan für das folgende Schuljahr; und reicht ihn mit einem Erklärungs=Bericht, dem Curatorium und Presbyterium in der bestimmten Zeit zur Prüfung und Genehmigung ein; Presbyterium sendet ihn darnach, spätestens in der Mitte des Monats August, zur Bestätigung an die hohe Provinzial Schul=Behörde. Der Bericht des Directors über den Lectionsplan wird an die Provinzial Schul=Behörde gerichtet geht aber durch das Presbyterium und auf demselben Wege wieder zurück. Ein gleiches findet statt bei allen Verfügungen, die unmittelbar zu dem Bereiche des Directors gehören und worüber sich die Provinzial Schul=Behörde sich zunächst an diesen zu halten hat.

In Hinsicht eines Normal=Lectionsplanes wird folgende Vertheilung des Unterrichts-stoffes durch die vier Klassen des Gymnasiums nach ihrer wöchentlichen Stunden-zahl fortgesetzt, und der jährlichen Aufstellung eines speciellen Lectionsplans zum Grunde gelegt.

KlassenI. II.III.IV.Summa
1. Religion22228
2. Latein988631
3. Griechisch66618
4. Hebräisch224
5. Deutsche Sprache244616
6. Geschichte und Geographie343414
7. Mathematik556622
8. Naturkunde22228
9. französische Sprache333312
10. Kalligraphie448
11. Zeichnen2x22x24
12. Gesang2x22x24
Summa der Lehrstunden149

[…]

In den obern Klassen ist stets dafür zu sorgen, daß die lateinische und griechische Sprache, in den untern die lateinische und deutsche Sprache in jeder Klasse von demselben Lehrer ertheilt werde, damit derselbe Gelegenheit erhalte, diesen zweifachen Lehrstoff in eine gegenseitige Verbindung zu setzen, und den einen durch den andern zu ergänzen, zu erläutern und zu begründen.

Ein Gleiches ist in Hinsicht der Geschichte und Geographie zu beobachten und überall von dem Director darauf zu halten, daß ein wesentlicher Lehrgegenstand, der in einer Klasse mehr oder weniger zurückgetreten ist, auf eine kürzere Zeit in derselben mehr Umfang an Zeit und Kraft gewinne bis die Schüler auch hierin auf die vorgeschriebene Stufe der Gleichmäßigkeit ihrer Fortschritte gelangt sind.

Die Mathematik in den beiden untern Klassen muß in einem streng=wissenschaftlichen Gewande vorgetragen, und mit demselben Unterricht für die beiden obern Klassen in einen lückenlosen Zusammenhang gesetzt werden.

In Hinsicht der in den obern Klassen zu lesenden Schriftsteller, wird darauf zu halten sein, daß kein gewalsamer Sprung vom Leichtern zum Schwenrn, Statt finde; daß immer nur zwei, ein Dichter und ein Prosaiker neben einander gelesen, und daß unter den Letztern vorzüglich solche gewählt werden, welche den Schülern als Muster des Styls dienen können, da das gesammte philologische Studium auf Schulen vorzüglich auf das Eindringen in den Geist der Sprache gerichtet sein, und darin seine Begründung finden muß.

Was die Lehrbücher betrifft: so sollen eines Theils nicht unveränderlich dieselben beim Unterricht zum Grunde gelegt werden, damit die Schule mit dem Geiste der Zeit gehörig fortschreiten könne; andern Theils soll Rücksicht auf die Lehrbücher anderer, anerkannt guter Gymnasien genommen werden, damit von andern Gymnasien kommende, oder auf andere Gymnasien übergehende Schüler sich leichter orientiren.

§17
Schulgeld

Die Bezahlung des Schulgeldes geschieht in vierteljähriger Vorausbezahlung an den jedesmaligen städtischen Scholarchen oder Rechnungsführer des Curatoriums; der ganze Ertrag desselben fließt in die Casse des Gymnasiums, und die Verwendung desselben geschieht nur zum Besten der Anstalt.

Der Betrag des jährlichen Schulgeldes ist dermalen folgender:

In der ersten Klasse: 32 Taler Berliner Courant
In der 2ten Klasse: 32 Taler Berliner Courant
In der 3ten Klasse: 24 Taler Berliner Courant
In der 4ten Klasse: 20 Taler Berliner Courant
In der Vorbereitungsklasse: 16 Taler Berliner Courant

für Reinigung und Heitzung der Schule muß von jedem Schüler vierteljährlich ein halber Berlinerthaler besonders bezahlt werden.

Für Eltern, denen dieser Ansatz ihrer Umstände wegen zu schwer sein sollte, kann eine Verminderung des Schulgeldes Statt finden; worüber das Curatorium die Verfügung hat.