Bericht des Polizei-Inspektors Voigt nach Düsseldorf über „Die Social=Demokratie in Barmen”

HStAD Regierung Düsseldorf Präsidialbüro Nr. 866 Bl. 130 ff

Entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989.

15.12.1873 handschriftlich


Die social=demokratische Bewegung im Wupperthale war zu Lassalle’s Zeiten wohl die bedeutendste ihrer Art in Deutschland und von diesem Führer besonders hoch geschätzt. Auch unter v. Schweitzer’s Regimente behauptete sie noch immer einen ziemlichen Rang und erreichte, so zu sagen, ihren Höhepunkt durch die Wahl des Genannten als Reichstags=Abgeordneten. Nachdem aber Berlin und theilweise Hamburg-Altona mit ihren vielen Mitgliedern die Hauptrolle in der Partei spielten, ging hier das Interesse zur Sache verloren und erst in den beiden letzten Jahren ist es durch fortwährende Agitation gelungen, hier wieder eine nennenswerthe Mitgliedschaft zu errichten. Der Allgemeine Deutsche Arbeiter=Verein (Präsident Hasenclever) hat z.Z. in Barmen ca. 400 eingeschriebene, Beitrag zahlende Mitglieder und das Partei=Organ „Der Neue Social-Demokrat” ungefähr 200 Abonnenten. Diese Zahlen wären an und für sich nicht besorgnißerregend, bedenkt man aber, daß der größere Theil der hiesigen Arbeiter die Ansichten des genannten Vereins theilt und in allen wichtigeren Fragen der von diesem ausgegebenen Losung bereitwillig Folge leistet, so darf bei der festen Organisation und der guten Partei=Disciplin wohl behauptet werden: der Allg. Deutsche Arbeiter Verein resp. die Social=-Demokratie ist hier in Barmen eine Macht, mit der gerechnet werden muß, besonders bei der Zerfahrenheit und Lauheit der übrigen politischen Parteien hieselbst, sowohl der liberalen wie conservativen.

Unter solchen Verhältnissen kann das Resultat der nächsten Reichstagswahl beinahe sicher vorausgesagt werden: es wird der von der soc. dem. Partei aufgestellte Kandidat (Hasselmann?) gewählt werden. Die zu diesem Zwecke bereits begonnene Agitation wird äußerst lebhaft betrieben, den hiesigen Führern sind mehrere auswärtige Hauptredner als Verstärkung beigegeben und Partei= und Volks=Versammlungen finden fast täglich statt.

Die hiesigen Führer und Leiter der Partei sind
der Sattlergeselle Mann und
„Riemendreher Kuhl.
Die Vergangenheit dieser Leute ist, wie bei vielen hervorragenden Partei=Mitgliedern, durchaus nicht fleckenlos und haben beide bereits wiederholt mit dem Strafrichter Bekanntschaft gemacht.

Der Sattlergeselle Friedrich Mann, Bevollmächtigter des A.D.A.V. für Barmen, 37 Jahre, gebürtig aus dem Waldeckschen, gehört zum Verein seit der Entstehung im Jahre 1863 und ist ein enragirter [sic!] Lassallianer. Von kleiner, unansehnlicher Statur und ohne wissenschaftliche Bildung besitzt er doch eine gewisse Rednergabe und weiß namentlich seine Stellung als Vorsitzender bei den öffentlichen Versammlungen mit Energie und Geschick auszufüllen. Sein Gewerbe betreibt er nicht mehr, er bezieht sowohl aus der Vereins= wie aus der Orts=Kasse eine Remuneration, welche für seine Existenz ausreichend ist; die Familien=Verhältnisse scheinen zerrüttet zu sein, da er von Frau und Kind, die in Elberfeld leben, – getrennt wohnt. Bestraft ist Mann 1. vom Landgericht zu Elberfeld am 18. März 1864 wegen Verletzung der Ehrfurcht gegen des Königs Majestät mit 25 Reichtstalern Geldbuße eventl. 9 Tage Gefängniß (bestätigt in der Appell=Instanz);
2. von demselben Gericht am 27. September 1873 wegen Beleidigung des Bürgermeisters in Schwelm mit 15 Reichstalern Geldbuße oder 1 Woche Gefängniß;
3. von demselben Gericht am 26. November 1873 wegen Verletzung des § 131 des Strafgesetzbuches mit 14 Tagen Gefängniß.
Im September 1864 ist Mann wegen Verhöhnung der Anordnungen der Obrigkeit von hier ausgewiesen worden. –

Der Riemendreher Karl Julius Kuhl, 26 Jahre alt, gebürtig aus Wiehl, verheirathet, Vater von 2 Kindern, ist erst vor Kurzem von Langerfeld, Kreis Hagen, hierher verzogen, nimmt aber schon eine bedeutende Stellung in der Partei ein. Ein gewandter, kräftiger Redner, schlagfertig, mit einem guten Gedächtniß und nicht ohne allgemeine Bildung, ist er besonders bei Volks=Versammlungen von Nutzen, dar bei seiner genauen Bekanntschaft mit den Schriften Lassalle’s jedem Gegner gleich zu dienen weiß.

Bestraft ist er 1. durch Erkenntniß des Königlichen Zuchtpolizei=Gerichts zu Elberfeld vom 28. October 1869 wegen Verwundung mit 10 Reichstalern Geldbuße eventl. 4 Tage Gefängnis.
2. durch Erkenntniß desselben Gerichts vom 20. April 1872 wegen Ueberversicherung zu 775 Reichstalern Geldbuße, eventl. 6 Monate Gefängniß. Diese Strafe tilgt Kuhl z.Z. durch Ratenzahlungen. Außerdem soll er noch eine dritte Bestrafung in Elberfeld erlitten haben: worüber Recherchen angestellt sind.
Redner von weniger Bedeutung als die vorstehend erwähnten sind der Schuhmacher Johann Mühlhausen, (der Schöngeist des Vereins), der Fabrikarbeiter Frick und der Fabrikarbeiter Eckert.

Von auswärtigen Koryphäen treten hier auf:
der Präsident des gesammten Vereins Hasenclever; Tölcke – Iserlohn; Dreesbach – Düsseldorf; Klein – Elberfeld; Frick – Bremen; Winter – Altona und Hörig – Hamburg, über letzteren, den Kandidaten zur Reichstagswahl für Mettmann-Lennep und für Düsseldorf geben die anliegenden Notizen nähere Auskunft. Ferner bereist in letzter Zeit der Kandidat für den Wahlkreis Barmen-Elberfeld, Hasselmann, Redacteur des Partei=Organs, den Bezirk.

Die internationale Partei (Fraction Bebel-Liebknecht) ist hier nur schwach vertreten und hat bis jetzt öffentlich sich kaum gezeigt, das Parteiblatt „Volksstaat” zählt hier ca. 20 Abonnenten, als Kandidat für den Reichstag ist Dr. Johann Jacoby für den Wahlkreis aufgestellt.