in: LHA Koblenz, Best. 403, Nr. 8082, Bl. 123 ff.

entnommen aus: Entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989.

Bericht des Barmer Bürgermeisters Wilckhaus an den Regierungsrat von Viebahn, Düsseldorf

12. Mai 1837


In Folge der mit Euer Hochwohlgeboren vor etwa 8 Tagen gepflogenen Unterredung die Arbeiten in der hiesigen Baumwoll=Spinnerei der Herren Wittenstein & Reinhold mit Rücksicht auf die Stundenzahl und Jugend der Kinder betreffend; beehre ich mich Euer Hochwohlgeboren auf den Grund meiner eingezogenen Erkundigungen nach Absprache ausseramtlich ganz ergebenst zu berichten.

Es sind in dieser Fabrik Kinder von 8. 9. 10 pp. und Erwachsenen beiderlei Geschlechts bis zu einem Alter von 25. und mehreren Jahren beschäftigt und zwar auf folgende Weise,

während dem Sommerhalb=Jahr beginnt die Arbeit: Morgens präcise um 5 Uhr, wer einige Minuten zu spät kömmt verfällt in eine Strafe von 6 Pfennig, welche ihm von seinem kärglichen Wochenlohn gekürzt wird, entfernt wohnende Kinder müßen wie ich es aus dem Munde der Eltern selbst gehört habe, schon gleich nach 4 Uhr aufstehen, um zur rechten Zeit dorten zu seyn, um so zu sagen 13. Stunden eingesperrt zu werden.

Gegen 8. Uhr Morgens wird den Kindern von ihren Eltern oder Angehörigen ihr kärgliches Frühstück in die Spinnerei gebracht, und durch die Thüre der Arbeits Locale gereicht, der Genuß desselben muß aber während den Arbeiten welche ununterbrochen bis um 1 Uhr fortgehen, statt finden.-

Von 1 bis punkt 1/2 2 Uhr wird die Spinnerei stille gesetzt, und während dieser Zeit müßen die Kinder resp: sämmtliche Arbeiter wovon keiner nach Hause gehen darf, ihr Mittags Mahl, das ihnen auch wieder durch ihre Angehörigen muß hingebracht, genossen, haben sie dann bis um 1/2 2. Uhr noch einige Minuten übrig, dann dürfen sie seit etwa 3 Wochen eben an die Luft gehen, früher wurden sie von Morgens 5 bis Abends 7 Uhr nicht an die Luft gelassen, und es scheint daß diese zwar kleine und wohl nicht hinreichende Einrichtung durch jenen Euer Hochwohlgeboren bekannten Aufsatz des Herrn Landtags=Deputirten Johann Schuchard in No. 25 des Westphälischen Anzeigers hervorgerufen worden.- Nachdem die Kinder nun 13. Stunden (doch zur Steuer der Wahrheit muß auch dieses gesagt werden) in geräumigen Localen eingeschlossen gewesen, soll auch ihr Geist noch wirksam und beschäftigt werden und von 7 bis 8 Uhr Schul-Unterricht genießen, also 14 volle Stunden müßen diese kleinen Wesen mit Hände und Kopf arbeiten, – um per Woche 12, 15, 18. bis 20. Silbergroschen zu verdienen die Größeren resp. erwachsenen Arbeiter bekommen 25 Silbergroschen bis zu 1 Taler 5 à 10 Silbergroschen:

Im Winter Halb=Jahr beginnt die Arbeit erst Morgens um 7 Uhr und endigt Abends um 9 Uhr; es ist selbstredend, daß die armen Eltern der Kinder ihnen von dem kleinen Verdienst keine Schutz gewährende Kleidung anschaffen können, und so sind diese armen Kleinen in ihrem Berufe auch noch der oft strengen Kälte und schlechten Witterung ausgesetzt dagegen sind sie in den Fabriklocalen in körperlicher Hinsicht oft bedeutend besser wie zu Hause aufgehoben, während des Winterhalbjahres entbehren die Kinder an den Wochentagen die Schule und es wird ihnen dagegen ein nothdürftiger gewiß unzureichender Unterricht, Samstags von 2 bis4 Uhr ertheilt, da aber das Schul=Local nicht einmal die Hälfte der Kinder fassen kann, so wird ein Theil denselben entbehren müßen, auch ist wohl anzunehmen, daß die Kinder selten durch ihre Eltern darzu angehalten, an der Samstag=Schule Theil nehmen werden, und endlich wohl kein Gesetz besteht wodurch sie darzu angehalten werden könnten, dagegen dürfte der mangelhafte und unzureichende Schul=Unterricht an den Wochentagen wohl nicht im Sinne und Einklang mit der Allerhöchsten Kabinets=Ordre vom 14. May 1825. resp. 20. Juny 1835 seyn, und werde ich Veranlaßung nehmen dieses besonders in der nächsten Sitzung der Schul=Commission zur Sprache zu bringen.

Nach dieser getreuen und wahren Darstellung scheint es mir wünschenswerth, daß keine Kinder in dem zarten Alter von 8. A 12. Jahren wie es so viel es mir bekannt in England der Fall ist, in solchen Fabriken dürften beschäftigt werden, und daß sie strenge angehalten würden, diese ihre Jugend Jahre zur Schul=Unterricht zu benutzen, um jener Allerhöchsten Landesväterlichen Bestimmung zu genügen, und dadurch zu künftigen brauchbaren Staatsbürgern in etwa heran gebildet zu werden, ob aber durch eine solche strenge durchführende Maaßregel den Fabrik=Besitzern namentlich den Inhabern von Spinnereyen dadurch nicht entgegen gearbeitet resp. ihre Concurrenz in dieser Beziehung mit dem Auslande resp. England erschwert würde, indem erstere dann, erwachsenern Kindern von 14 Jahren und älter, zu höhern Löhnen benutzen müßten, dürfte gleichfalls nicht unerwogen bleiben, und will ich mir darüber kein näheres Urtheil erlauben.