StA Wuppertal J V 207

entnommen aus: Entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989

1. Januar 1855


Reglement

für
das in der Dampfweberei und Winderei
von

M. Leser & Comp.
beschäftigte Arbeiter=Personal

Allgemeine Bestimmungen.

§. 1. Mit dem Eintritt in die Fabrik erhält eine jede Arbeiterin ein Büchelchen , in welchem dieses Reglement vorgedruckt ist, und über dessen Empfang sie, und bei Unmündigen die Eltern oder Vormünder zu quittiren haben.

§. 2. Jede Arbeiterin hat, bevor sie bei uns Arbeit erhalten kann, über ihre bisherigen Leistungen einen Schein ihres letzten Arbeitgebers beizubringen. Dieser Schein sowie die Quittung über das erhaltene Büchelchen bleiben in unseren Händen.

§. 3. Die hierorts übliche Kündigungsfrist von Vierzehn Tagen gilt auch bei uns für beide Theile. Wir behalten uns jedoch vor, in dem Falle, daß Arbeiterinnen durch Ungehorsam, unsittliches Betragen u. s. w. unsern Vorschriften zuwiderhandeln , dieselben ohne Kündigung oder Entschädigung sofort zu entlassen. Letzteres tritt auch ein, wenn die Arbeiter die ihnen übertragenen Arbeiten nicht zu unserer Zufriedenheit herstellen.

§. 4. Jede Arbeiterin hat die Arbeitsstunden genau einzuhalten, welche das in jedem Saal angeheftete Reglement vorschreibt; sie muß sich ordentlich und reinlich in der Fabrik einfinden und sich ohne Aufenthalt oder Geräusch an ihre Arbeit begeben, auch während des Tages im Arbeitszimmer sowie auf den Treppen und Gängen jedes unnöthige Geräusch vermeiden.

§. 5. Jeder Verstoß gegen die im §. 4 enthaltenen Bestimmungen hat zum ersten Male eine Verwarnung zur Folge; die erste Wiederholung wird mit einem, die zweite mit fünf Silbergroschen bestraft, — die dritte aber hat sofortige Entlassung zur Folge. Die auf diese Weise eingehenden Strafgelder werden in einer verschlossenen Büchse gesammelt, und helfen die Kosten eines jährlich zu feiernden gemeinsamen kleinen Festes bestreiten.

§. 6. Den Vorschriften und Anordnungen ihrer unmittelbaren Vorgesetzten — sei es in Betreff der Handhabung der Maschinen oder in Bezug auf die Arbeit selbst — hat jede Arbeiterin auf das Genaueste nachzukommen.

§. 7. Alle Geräthschaften oder Utensilien, welche eine Arbeiterin von uns empfängt, werden ihr in dieses Büchelchen eingeschrieben, und sind uns beim Ausscheiden aus der Fabrik gut erhalten zurückzugeben. Fehlende oder durch Schuld der Arbeiterin verdorbene Sachen muß diese auf ihre Kosten ersetzen.

§. 8. Jede Arbeiterin hat sich auch außerhalb der Fabrik eines moralischen Lebenswandels zu befleißigen, und muß nicht nur selbst treu und redlich sein, sondern auch, sobald ihr eine noch so kleine Veruntreuung seitens einer Mitbeschäftigten bekannt wird, uns sofort Anzeige davon machen, da sie andernfalls als Mitschuldige angesehen und mit sofortiger Entlassung bestraft wird.

§. 9. Eine jede nachweisliche Veruntreuung seitens einer Arbeiterin wird — abgesehen von dem Ersatz für das Entwendete — durch die öffentlichen Blätter bekannt gemacht, damit ein jeder vor dergleichen Dieben gewarnt werde.

§. 10. Dagegen sollen diejenigen fünf besten Arbeiterinnen, welche sich im Laufe des Jahres durch ihre Moralität und Betragen wie durch pünktliche und gute Arbeiten ausgezeichnet haben, mit einem Sparkassenbuch von je zehn Thaler belohnt werden.

§. 11. Es ist allen Arbeiterinnen auf das strengste verboten, irgend jemanden, sei es einen Verwandten oder Bekannten, sobald dieser nicht zur Fabrik gehört , darin einzuführen, auch dürfen dieselben während der Arbeitszeit die Fabrik nicht ohne besondere Erlaubniß verlassen.

§. 12. Um unsern Arbeiterinnen in Krankheitsfällen die Wohlthat der ärztlichen Hülfe und Arznei in vollem Maaße zu Theil werden zu lassen, errichten wir für den weiblichen Theil unserer Arbeiter eine Kranken- und zugleich eine Sterbe-Kasse, der eine jede Arbeiterin beitreten muß. Die Bestimmungen, wonach diese Kasse eingerichtet , sind folgende:

a. Tritt ein Krankheitsfall bei einer Arbeiterin ein, so muß dieselbe gleich bei dem betreffenden Aufseher Anzeige machen, und sorgt dieser dafür, daß der Kranken die ärztliche Hülfe und Arzenei sowie ein Thaler wöchentlich als Unterstützung zu Theil werde.

b. Zur Bestreitung der Kosten dieser Kasse wird einer jeden Arbeiterin von jedem Thaler ihres verdienten Lohnes ein halber Silbergroschen bei der Auszahlung abgehalten. Die am Ende eines jeden Jahres etwa überschießende Summe wird bei uns als Kapital niedergelegt und mit 5 % jährlich verzinst. Sollten die eingezahlten Beiträge zur Bestreitung der Auslagen zeitweise nicht hinreichen, so werden wir der Kasse Vorschüsse machen, für die jedoch keine Zinsen in Anschlag kommen.

c. Die unter a vermerkten Unterstützungen hören auf, sobald der Fabrikarzt erklärt, daß die Erkrankte sich die Krankheit durch eigenes Verschulden zugezogen , ferner wenn dieselbe nach Ausspruch des Arztes wieder arbeitsfähig und ebenso, wenn nach dessen Anspruch die Krankheit unheilbar ist , indem keine Pension, sondern nur Unterstützungen für vorübergehende Krankheiten aus der Kasse geleistet werden sollen.

d. Stirbt eine unserer Arbeiterinnen, so erhalten deren Eltern oder sonstige Hinterbliebene behufs Bestreitung der Beerdigungskosten und der zu diesem Zwecke erforderlichen Anschaffungen aus der Kasse die Summe von Acht Thaler

e. Auf alle unter a und d festgestellten Unterstützungen haben nur diejenigen Anspruch , welche mindestens drei Monate lang den vorgeschriebenen Beitrag zur Kasse geleistet haben.

f. Sobald eine Arbeiterin aus unserer Fabrik austritt, sei es mit oder gegen ihren Willen, verliert sie ihre Ansprüche an die zur Kasse gezahlten Beiträge.

g. Sollte je der Fall eintreten , daß der Betrieb dieser Fabrikanlage eingestellt würde, so soll der dann in der Kasse etwa vorhandene Bestand den Wohlthätigkeitsanstalten dieser Stadt übermacht werden.