in: LHA Koblenz, Best. 403, Nr. 8082, Bl. 113 ff.

entnommen aus: Entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989.

Bericht des Regierungsschulrats Altgelt an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Freiherrn von Bodelschwingh-Velmede. (Auszüge)

29. Juni 1837


Euer Hochwohlgeboren verehrlichen mündlichen Aufforderung vom 27 dieses Monats zufolge bin ich sogleich nach Barmen abgereist, und ermangele nicht, das Resultat meiner Untersuchung der Zustände der Kinder in den baumwollen Spinnereien des Herrn Oberempt zu Rauenthal und des Herrn Wittenstein zu Wupperfeld in den beiden Anlagen ehrerbietigst zu überreichen, und das mir anvertraute Reglement der erst genannten Fabrik ganz gehorsamst zurückzureichen.

Daß diese Kinder übermäßig angestrengt werden, ist meines Erachtens erwiesen, und nicht einmal von den Werkmeistern und Aufsehern, mit denen ich mich vielfach unterhalten habe, in Abrede gestellt worden.

Einen Theil der Schuld der körperlichen und geistigen Verkrüppelung ist aber den Ältern zuzuschreiben, welche in Armuth und Elend die Kinder zeugen und gebären, und sie von der Geburt an an allem Nöthgen Mangel leiden lassen.

Nahrung, Kleidung, Schlafstätte alles fehlt diesen armen Kindern, so daß viele von ihnen vorziehen in der Fabrik zu schlafen und an den Thüren zu betteln, als zu Hause mit den Ältern zu essen und sich dort nieder zu legen.

Die Speise, welche den Kindern zum Mittag gebracht wurde, war der Masse nach durchgehends mehr als Kinder des Alters zu essen pflegen, aber ohne Fett und Geschmack, Kartoffel und etwas Gemüse in Wasser das lau warm, und eine Schnitte Brod.

[…]

Die Baumwollen=Spinnerei des Herrn Oberempt im Rauenthal, Gemeinde Langerfeld Kreis Hagen beschäftiget durchgängig 200 Personen, darunter 2/3 Kinder zwischen 9 und 14 Jahren.

Die Arbeitszeit ist:

im Sommer
von 5 bis 11 und von 1 bis 8;
im Winter:
von 6 bis 11 und von 1 bis 9 Uhr
demnach durch alle Jahreszeiten täglich 13 Stunden.

Die Stunde von 11 bis 12 wird zum Schulunterricht benutzt, und von 12 bis 1 Uhr zum Mittagessen freigegeben.

Da die beiden Dachstuben des thurmartigen Gebäudes zu Schulzimmern benutzt werden, und nur die in der Nähe wohnenden Kinder um Mittag zu den Ältern gehen, so fehlt es nicht an Kindern, welche täglich fünfzehn Stunden lang in demselben Gebäude sind.

Wolf, Blowing und Spreading heißen die drei Maschinen, welche zur Reinigung der Wolle benutzt werden, und deren Betrieb die Räume mit einem dichten Staube erfüllt.

An dem Wolfe wird nur 6 Stunden des Tages von einem Erwachsenen und einem Knaben gearbeitet, an den beiden andern Reinigungsmaschinen aber den ganzen Taghindurch, woran 5 Knaben beschäftiget sind.

Summa 6. In dem ersten Kratzenzimmer sind beschäftiget 15, in dem zweiten ditto 17, Knaben unter 16 Jahren. In dem 1sten Verspinnszimmer 26, 2[. Zimmer] 44, 3[. Zimmer]45 Knaben unter 12 Jahren Knaben unter 12 Jahren und Mädchen desselben und höhern Alters.

Summa Summarum: 153

An dem Wolfe wird verdient per Woche 1 Taler an dem Blowing 1 Taler, an dem Spreading 24 Silbergroschen, in dem sogenannten Kratzenzimmer 18 bis 30 Silbergroschen, und an den Verspinnsmaschinen 15 bis 45 Silbergroschen.

Für den Schulunterricht erleiden die Kinder keine Abzüge, vielmehr erhalten die Lehrer eine Entschädigung aus den Armencassen der kirchlichen Gemeinden, per Kind und Jahr 1 Taler.

Ich fand in der untersten Classe der Schule unter dem Lehrer Weber der Dorfschaft Heckinghausen versammelt:
27 Knaben
24 Mädchen
51 Kinder unter 12 Jahren, darunter fünf zuvor noch in keiner Schule gewesen, sammt und sonders in den ersten Anfängen des Elementarunterrichts; nothdürftig zum Lernen angeregt. In der ersten Classe waren unter der Leitung des Lehrers Kappe zu Rittershausen versammelt:
24 Knaben
34 Mädchen
58 Kinder
unter 14 Jahren, welche in den ihnen vorliegenden biblischen Historien lesen konnten. Mit dem Schreiben ging es schlecht, und konnten nicht alle das Ein mal Eins aufsagen, noch auf Befragen antworten, dagegen wußten die Schüler beider Classen einige Liederverse auswendig zu singen, in dieser Classe waren 5 Kinder, welche zuvor in keiner andern Schule gewesen, und daran leicht kenntlich, daß sie am meisten zurück waren.

Die Spinnerei des Herrn Wittenstein zu Wupperfeld beschäftiget 140 Personen, darunter 60 zwischen 9 und 14 Jahren.

Die Arbeitszeit ist
im Sommer
von 5 bis 1 und von 2 bis 7;
im Winter
von 6 bis 1 und von 2 bis 8 Uhr.
demnach durch alle Jahreszeiten täglich 13 Stunden.
Die Stunde von 1 bis 2 Uhr ist für das Mittagessen freigegeben.
Im Sommer wird von 7 bis 8 Uhr Abend in einem nahe liegenden Hause Schule gehalten; im Winter aber ist der Unterricht auf den Sonntag Nachmittag beschränkt.

Für den Schulunterricht erleiden die Kinder keinen Abzug vielmehr wird der Lehrer Peters aus der Dorfschaft Heid mit 33 1/3 Thaler von der lutherischen Gemeinde, mit demselben Betrage von der reformirten Gemeinde, ingleichen von dem Fabrikherrn, demnach mit 100 Talern remunerirt.

In der Schule waren versammelt
31 Knaben
19 Mädchen
50 Kinder darunter 8 über 13 Jahren und 5 überhaupt, welche zuvor in keiner Schule gewesen.

Etwa die 6 Ältesten konnten nothdürftigst aus der ihnen vorliegenden Heiligen Schrift Neuen Testaments lesen. Das Rechnen ging sehr schlecht, und eben so schlecht das Buchstaben schreiben auf der Schiefertafel. Der größte Theil dieser armen Kinder erschien so matt und müde, daß gewiß das Mitleid den Lehrer zurückhält, sie in der fünfzehnten Stunde des Tages zur Aufmerksamkeit anzuregen.
Der Liedervers, den sie zum Schlusse anstimmten tönte wie Weinen und Verlangen endlich frei zu werden.