„Bekanntmachung an die Bewohner unserer Sammtgemeinde in Betreff der neuen Schuleinrichtung“
Annalen für 1829
entnommen aus: Entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989
1829
Jeder aufmerksame und denkende Mensch sieht ein, daß in unsern Tagen der Jüngling, welcher in die Welt treten soll, und der Bürger , welcher zur Herbeiführung seines Glückes in seinem Gewerbe mit Ehre und Erfolg wirken will, mehr wissen, kennen, verstehen und leisten muß, als in der vorigen Zeit gefordert wurde. Täglich werden in den Naturwissenschaften, in der Physik, Chemie, Mechanik etc. neue Entdeckungen gemacht, und von Denkenden und Verständigen die auf jene Entdeckungen sich gründenden Erfindungen bei den Arbeiten in Werkstätten, Fabriken, Manufacturen, Künsten etc. angewendet. Viele Geschäfte des Gewerbstandes ändern daher sich unaufhörlich, und mit den Kenntnissen, welche der Lehrling in den Lehrjahren sich erwirbt, mit den Fertigkeiten, die er sich einübt, und den Handgriffen, die er sich aneignet, und durch welche er zu einem Beruf-Fache gleichsam nur abgerichtet wird, reiht er also, wie es wohl ehemals war, in der Folge und für sein ganzes Leben nicht mehr aus, um seinen Posten als Geschäftsmann und ehrenwerther Bürger auszufüllen. Der junge Mensch muß deshalb in unserer Zeit früh kräftig angeregt , vielfach geistig geübt, mit mannigfachen, gründlichen Kenntnissen bereichert, mit bildenden Fertigkeiten vollkommen ausgestattet und so hinlänglich befähigt werden, mit denkendem Kopfe und durch eigenen verständigen Fleiß die Schätze des Wissens sich zu erwerben, die zur Erstrebung einer höhern Stufe der echten Bildung ihm nöthig, und zur bessern und einträglichern Betreibung der bürgerlichen Berufsgeschäfte ersprießlich sind.
Die Unterrichtsanstalten, sowohl die öffentlichen als die Privatinstitute, in den Ortschaften der Rheinprovinzen konnten, ihrem eigentlichen Zwecke nach, und ohne diesen aufzugeben, oder mangelhaſt für die Erfüllung desselben zu wirken , die Lehrgegenstände und Beschäftigungen der Zöglinge und Schüler nicht mit Hinsicht auf Bildung für den künftigen Stand derselben wählen, und wenn es geschah, so war die Einrichtung der Anstalten doch von der Art, daß sie die für den bürgerlichen Stand nothwendige Schulbildung unmöglich gehörig befördern und vollenden konnten. In Erwägung dessen trugen die achtbaren Landstände dieser Provinzen Sr. Majestät dem Könige den Wunsch vor, daß Bürgerschulen errichtet werden mögten. In diesen sollte nicht allein, wie in allen christlichen Lehranstalten, die Bildung zum Christen-und echten Menschen beabsichtigt werden, sondern auch jeder Lehrgegenstand und jede einzuübende Fertigkeit auf das Praktische abzielen, mehr Sachen als Formen gelehrt werden , der Schüler die Gegenwart recht auffassen lernen, er sich für das werkthätige Leben in der bürgerlichen Gesellschaft vorbereiten und seine geistige Vorbildung vollenden.
Der Aufforderung der Königlichen Regierung zufolge und unter besonderer Leitung derselben haben die verschiedenen kirchlichen und bürgerlichen Behörden unserer Kommune in Verbindung mit der frühern städtischen Schul=Commission einen Plan entworfen, dem gemäß unser gesammtes Schulwesen ein zusammenhangendes Ganzes ausmacht und in welchem das Bedürfniß in Hinsicht auf Unterricht und Schulbildung der Kinder für die verschiedenen Stände berücksichtigt und befriedigt werden soll. Für unsere Stadt, die in Betreff der Gewerbthätigkeit einen bedeutenden Rang im Staate einnimmt, war ein Schulwesen, in Beziehung auf den Bürgerstand eingerichtet, schon lange nothwendig. Das Königl. hohe Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten hat nun vermöge Rescripts vom 3. Februar a. c. eine Schuleinrichtung für unsere Kommune genehmigt, so daß nicht allein die ursprüngliche gemüthige und geistige Kraft unserer Jugend nach den Hauptrichtungen hin in Thätigkeit gesetzt und in ihr der Grund zur christlichen Erziehung und menschlichen Bildung gehörig angebaut, sondern auch ihr die für das verständige, thätige Bürgerleben allgemein erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten hinreihend und jedem Knaben und Mädchen diejenige Vorbereitung zum sichern Fortschreiten in der Bildung ganz zu Theil werden könne „ die vernünftige Eltern nach Bedürfniß und nach dem künftigen Berufe der Kinder für nöthig erachten und wünschen.
Die Schul=Commiſſion hat sich bisher mit den Vorarbeiten zur Verwirklichung des Schulplanes beschäftigt, welche so weit gediehen sind, daß in den bestehenden Lehranstalten und in denen, welche schon jetzt eingerichtet werden können, am Anfange des neuen Schuljahres, nemlich am 1. des künftigen Novembers mit Genehmigung der höhern Landesbehörde der Unterricht dem Plane gemäß ertheilt wird.
Die schon bestehenden Elementarschulen sind:
a. in der Stadt
1) auf der Aue mit zwei Klassen,
2) im Island mit drei „
3) im Thomashof mit drei „
4) auf dem Hofkamp mit 3 Klassen,
5) auf der Gathe mit vier „
6) die Knabenschule der kathol. Gemeinde mit zwei Klassen,
7) die Mädchenschule der kathol. Gemeine mit zwei Klassen,
8) die Schule am neuen Teich mit zwei Klassen ,
9) die Schule am Wüstenhof “ “ „
b. im Kirchspiel
10) auf Uellendahl,
11) auf dem Katernberg,
12) vor dem Arrenberg,
13) am Langenfeld mit zwei Klassen,
14) am Trübsal “ “ „
In der Elementarschule soll gelehrt werden, was das Kind als Mensch, Christ, künftiger Unterthan des Landes und brauchbarer Bürger der Welt nothwendig denken, verstehen, wissen und können muß, Die Haupt-Lehrgegenstände der Elementarschulen sind:
a) Uebung in einem mit Nachdenken verbundenen Auswendiglernen und deutlichen , verständigen Hersagen dessen, was immer über die wichtigsten und heiligsten Angelegenheiten des Menschen, über Gottesfurcht, Frömmigkeit, Rechtschaffenheit, Bestimmung des Menschen, wahres Christenthum etc. richtig und gründlich belehren, vor der Sünde ernstlich warnen, zum Besserwerden und Rechtthun kräftig ermuntern, im Leiden beruhigen und trösten und im Genuß der Freude schuldlos erhalten kann.
b) Deutliches, richtiges, fertiges Lesen der Druck= und Schreibschrift.
c) Reinliches leserliches , fehlerfreies Schreiben,
d) Verständiges, richtiges und schnelles Rechnen im Kopfe und auf der Tafel.
e) Die Muttersprache zur Uebung im verständigen und richtigen Gebrauch derselben in Rede und Schrift, und im Nachdenken über Begriffe, die in der Lehr- und Büchersprache unentbehrlich sind, z. B. Ursache, Mittel, Zweck, Verhältniß, Kennzeichen etc.
h) Einfaches, sanftes, liebliches Singen der Melodien der Kirchengesänge.
Andere wichtige Gegenstände des Unterrichts der Elementarschulen sind alle Belehrungen, welche dazu helfen, auf die zunächst umgebenden Dinge und auf die Erscheinungen in der Natur aufmerksam zu machen — durch welche das Kind Gott in seinen Werken kennen und ihn bewundernd verehren lernt — welche auf Erhaltung: der Gesundheit und des Lebens Einfluß haben — welche dazu beitragen können, schlechte Sitten, verderbliche Vorurtheile und abergläubige Vorstellungen fortzuschaffen — welche Anhänglichkeit an das Vaterland und Liebe zu demselben und zum Landesherrn befördern — überhaupt Alles, was die Volksbildung erhöhen kann, sobald jenes Nothwendige und Wesentliche des Elementarunterrichts darüber nicht vernachlässigt wird.
Jeder Unterricht in der Elementarschule soll so ertheilt werden, daß dadurch die Denkkraft des Schülers erregt, geübt, durch Uebung erhöht, der Schüler zum Lernen befähigt, der Wille auf das Gute gerichtet, das Gefühl für das Gutseyn, Besserwerden und Rechtthun belebt und die Sprache in Beziehung auf das Verstehen der Lehre und das deutliche und richtige Sprechen und Schreiben des Schülers ausgebildet werden kann.
Damit die Schulzeit der Elementarschüler nicht mehr wie bisher, durch die drei verschiedenen Tags- und Abendschulen zersplittert werde, jeder Schüler den erforderlichen und genügenden Unterricht unverkümmert erhalte, und der kostspielige, für ächte Schulbildung oft ganz fruchtlose und in mancher Hinsicht nachtheilige Privatunterricht wegfallen könne, sind die bis jetzt in den Elementarschulen üblichen 36 Lehrstunden wöchentlich folgendermaßen vertheilt: Alle Tage in der Woche soll Morgens von acht bis zwölf, viermal Nachmittags von zwei Uhr bis fünf unterrichtet werden, und die beiden Nachmittage, Mittwochs und Sonnabends, sind der Fortbildung und Erholung der Lehrer und der freien Bewegung der Schüler bestimmt, (…)