„Bericht des Schulrats Sebstiani an die Düsseldorfer Regierung über eine Revision der Abendrealschule des Lehrers Lambertz“

HStAD Regierung Düsseldorf Nr. 2591, Bl. 39-42.

entnommen aus: Entnommen aus: Tania Ünlüdag, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989

26. Januar 1846


Die Abends-Schule des Lehrers Lamberts zu Elberfeld zählt nach Aussage des p Lamberts selbst 40 Kinder, die zum Besuch des Abends-Unterrichts von 7 bis 9 Uhr verpflichtet sind.

Gegen 1/2 8 Uhr, waren am 19ten dieses, an welchem Tage ich die Schule besuchte, erst 14 Kinder in der Unterrichtsstube erschienen. Gegen 1/2 9, eine Stunde später, hatten sich nach und nach 18 eingefunden.

Die Abends-Schüler des Unterlehrers van Brakel, deren 34 sind, waren an diesem Abende mit der Schule [des] p Lamberts kombinirt, welche Kombination nach Lust der beiden Lehrer wechselseitig nicht selten stattfinden soll. Eine Kontrole scheint nicht stattzufinden. Die Pfarrer gehören nicht zu dem Ausschuß der Schul-Kommission, denen die Beaufsichtigung der Abends-Schulen anvertraut ist.

Von den van Brakel’schen Kindern waren gegen 1/2 8 Uhr 7, eine Stunde später im Ganzen 12 eingetroffen.

Es beweist diese geringe Zahl, wie schlecht für den Schulbesuch dieser Kinder gesorgt wird.

Allein diese Vernachlässigung gehört zu den wenigen Wohlthaten, die diesen unglücklichen Geschöpfen in ihrer Jugend zu Theil werden. Gäbe Gott, daß die Schulbehörde ihrer nur vollends vergäße! es lastete dann eine Plage weniger auf ihrem gedrückten Dasein.

Nach genauem Erfragen bei jedem einzelnen der anwesenden Kinder habe ich über das Loos dieser armen Geschöpfe im Allgemeinen Folgendes ermittelt.

Ein Theil derselben muß schon morgens früh um 5 Uhr, ein anderer um 6, wieder ein anderer um 1/2 6, allso alle zwischen 5 bis 6 Uhr das Ruhelager verlassen, um ihre zarten Glieder, nach dem sie ein spärliches und schlecht zubereitetes Frühstück eingenommen, unter eine von präzise 7 Uhr bis 12 Uhr ohne Unterbrechung fortdauernde Arbeit zu beugen. Eine kleine Stunde, von 12 bis 1 Uhr, wird ihnen zur Erholung und zum Mittagessen vergönnt, eingerechnet den Weg, den sie nach Hause zu machen haben, der für manche 10 Minuten, für einige so gar eine 4tel Stunde beträgt. – Präzise um 1 Uhr – hier gilt kein zu spät kommen – beginnt wieder das Mühewerk und dauert ohne Unterbrechung bis 7 Uhr in die Nacht fort. Beim Schlage 7 wird man sich nun für die armen Kinder freuen, daß es endlich nach einer 11stündigen Arbeit auchmal Brod und Ruhe gibt.

Doch nein; die Schulpflicht ruft die Hungerigen und Müden sofort unter die Zuchtruthe eines von der Tagesarbeit selbst ermüdeten und mürrischen Lehrers. Das Tageswerk hat die Unglücklichen noch nicht ganz ausgetrocknet. Es sind an dem edlern Theile ihres Wesens noch einige Säfte zurückgeblieben; die müssen noch ausgepreßt werden. Sie sollen ganz entseelt, ganz Leiche ihren Eltern in der tiefen Nacht um 9 Uhr zurückgegeben werden.

Ich sah wie die armen Geschöpfe nach überstandenen 11stündigen Leiden aus den Fabrikkerkern in den Schulsaal traten. Wie Schatten kamen sie Eins nach dem Andern herangezogen und ließen sich in dem halbdunkeln Licht einer fast ersterbenden Lampe, welche die armen Kinder des Öhles nicht werth zu erachten scheint, auf ihren Bänken nieder, um sich von Neuem der Folter eines dreifachen Feindes zu unterwerfen; des Hungers nämlich, der sie quält, des Schlafes, der sich ihrer bemächtigt, während der 3te, der Lehrer, mit der Zuchtruthe sie den Armen des Letzteren entreißt und durch seinen Unterricht ihm doch immer wieder zustößt. Ja wahrlich, der Unterricht, den die Gequälten erhalten, ist einschläfernd, ist folternd, ist geisttödtend.

Das Lesebuch, welches gebraucht wird, ist der [1]te Theil von Willbergs Lesebuch – ein Buch das auf mittlere Schulklassen, also auch noch zum Theil auf die Einübung eines mechanischen Lesens, berechnet ist und von den Kindern schon durchgemacht sein muß, bevor sie gesetzlich zu der Abends-Schule zugelassen werden dürfen. Fragt man nun ein l4jähriges Kind, welches nach vollendeten 9 Jahr das Unglück hatte, zur Abends-Schule zugelassen zu werden: was für ein Lesebuch hast du? So wird es antworten: Willbergs Lesebuch. Was für ein Buch hattest du voriges Jahr? Willbergs Lesebuch. Vor 2 Jahren? Wilbergs Lesebuch. Vor 3 Jahren? Willbergs Lesebuch. Vor 4 Jahren? Ebenfalls Willbergs Lesebuch. Also 2, 3, 4 bis ins 5te Jahr ein und dasselbe Buch, um die Kinder das nutzlose Manöver eines todten Buchstaben-Werks täglich einexerziriren zu lassen.

Es ist wahrlich unverantwortlich, daß die verwaltende Behörde so auffallende Uebelstände nicht aufdeckt und beseitigt[!]

Ich fragte nach den Schreibheftche[n]. Da griff der Lehrer in dunkeln Schrank mit beiden Händen, wie man in Heu und Stroh greift, und legt mir ein Gemenge von zerissenen und abgenutzten Schreibheftchen vor, [] aus denen er die einzelnen, wie sie bestimmten Kindern angehörten, nicht herauszufinden wußte. Bei näherer Nachfrage erfuhr ich, daß, wie der Lehrer sich ausdrückte, die Heftchen den Kindern dargeleiht seien. Es seien nämlich die Ueberreste von unbeschriebenen Blättern, welche die Kinder, welche zuletzt aus der Tages Schule entlassen worden, in ihren Heftchen der Schule hinterlassen hätten.

Durch die Schulverwaltung werde nicht gesorgt. Es seien indeß, was früher nicht geschehen, für das laufende Jahr von derselben 12 neue Heftchen bewilligt worden. So sorgt man für die Abendschule! Die armen Kinder leben von den Brosamen, die man am Abend nach dem Karrendienst den Hündlein vorwirft. Es versteht sich von selbst, daß an ein ordentliches Schreiben bei den Kindern unter diesen Umständen nicht zu denken ist. Die mehrsten könnten sich der Zeit nicht einmal mehr erinnern, wo ihnen die Heftchen mit dem unbeschriebenen Paar Rest-Blättern zugekommen waren.

Erfreulicheres bietet auch das Rechnen nicht. Die Fragen, womit die Lehrer die Kinder quälte[n], bewegten sich nicht [ü]ber die 2-3 Groschen hinaus für welche sie täglich ihr junges Leben den Fabrikherrn verkaufen müssen. Man glaubt sie weit genug gebracht zu haben, wenn sie ausrechnen können, wieviel Stunden sie dem von der Natur gebotenen Schlafe und der Ruhe täglich entziehen müssen, um ihre traurige Existenz zwischen Sterben und Leben einem frühen Grabe entgegen schleppen zu können. Ein solches Groschen und Pfennig-Berechnen ist zwar practisch und recht gut; allein wenn dasselbe nach tausendmaliger Widerkehr immer nochmal wiſe]derkehrt und das Spulen-Gesche[uer] in den Köpfen der Kindern von Neuem wieder aufweckt und bis in den Schlaf hinein noch vibriren läßt, so ist es nur eine nutzlose Quälerei der Kinder.

In der beschriebenen Verfassung fand ich die Abends-Schule des Lehrers Lamberts und des Unterlehrers van Brakel.

Dieselbe soll indeß, wie der [p] Lamberts und der Pfarrer Friderici meinen, bei weitem nicht die schlechteste in der Stadt Elberfeld sein. Beide erkennen indeß an, daß in ihr nur Rückschritte gemacht werden, wie es denn bei dem Uebermaaß von Anstrengung der jugendlichen Kräfte nicht anders möglich ist, als daß die in der Tagesschule gewonnenen Eindrücke aus den zarten Seelen der Kinder wieder heraus gequält werden.

Bevor die armen Geschöpfe um 9 Uhr nach Hause entlassen werden, wollte ich, mißtrauisch gegen das Schicksal, welches ein Vergnügen darin zu finden scheint, sie zu verfolgen, mir Sicherheit verschaffen, ob nun endlich ihre Quaal für diesen Tag zu Ende sei und fragte daher, wann sie ihr Abendbrod bekämen und zu Bette gingen? Aus ihren Antworten ergab sich, daß den mehrsten, sobald sie nach Hause kommen, Brod und Ruhe zu Theil wird. Bei einigen aber ist das Maaß der Leiden noch nicht erfüllt. [Sie] müssen den Eltern noch spulen. Wie lange? Bis 11, 12, mannigmal 1/2 1 Uhr Uhr. -Von Morgens 7 bis 1/2 1 Uhr Nachts!!

Möge Eine Hochlöbliche Regierung aus dem Vorstehenden geneigtest Veranlassung nehmen eine nähere Revision sämmtlicher Abends Schulen in Elberfeld zu verfügen und hiernach eventuell auf irgend eine Weise eine Verbesserung derselben herbeiführen. Ich habe bei meiner vorlezten Anwesenheit in Barmen mit dem dortigen Oberbürgermeister die Sache schon besprochen und hat dieser eine Einrichtung, wie sie in Ratingen oder in Werden stattfindet, so wenig unausführbar gehalten, daß er mir sagte, er habe schon einleitende Besprechungen mit einigen Fabrikherrn in Betreff dieses Gegenstandes gehabt. Der Ober-Burgermeister Carnap lag krank darnieder, was mich verhinderte, ihm die Sache vorzutragen.