9. Mai 1849 – Barrikadenkämpfe in Elberfeld

Es war Mittwoch den 9. Mai, eine Stunde vor Mittag, als mir durch einen Expreß von Düsseldorf die Nachricht in das Gewerbinstitut gebracht wurde: „daß Militär gegen uns im Anzuge sei.“ Schon nach einer Stunde stehn eine viertel Meile vor Elberfeld ,,ein Piquet Uhlanen und eine Batterie Artillerie“, dort die Ankunft des nachkommenden Infanterie-Commandos erwartend! Im Nu weiß das die ganze Stadt. Auf den Straßen sammelt sich das Volk immer mehr und mehr an und bewegt sich in Gruppen dem Westende entgegen, wo das Militär steht und in dessen Nähe der Bahnhof ist. Die zu uns haltenden Bürger werden von meinem Boten angewiesen, „grüne Maien und Blumen den Soldaten entgegenzutragen“, sich unter ihre Reihen zu mischen und ihnen mitzutheilen: „daß kein Elberfelder auf einen Soldaten feuern werde, auch nicht wenn sie zum Angriff gezwungen seien; dann aber würden alle solchen Angriff führenden Officiere niedergeschossen werden. – Wie ich später erfuhr, hatte man wirklich in dieser Weise die Soldaten für die Volkssache gewonnen: „Pah! wir Euch schießen? – wir schießen Schwalben, wenn wir Feuer geben müssen!“ hatten sie gesagt.

Gegen zwei Uhr Nachmittags waren denn auch etwa tausend Mann Infanterie mit Extra-Bahnzügen auf dem Elberfelder Bahnhofe angekommen. Mit dem das Militär begleitenden königlichen Commissarius, Oberregierungsrath „von Spankern“, suchten hier der Oberbürgermeister, der Chef der Bürgerwehr und ein Theil des Gemeinderathes, mit Carl Hecker an der Spitze, in Unterhandlung zu treten, um den Einmarsch des Militärs und den Arrest des Landwehr-Comites zu verhindern. Aber „von Spankern“, dieses Muster eines Potsdamer Camarilla-Beamten, wies jede Vermittlung barsch zurück, und zwar um so bestimmter, als ihm die, wenn auch jetzt schon sehr zurückgehaltenen, Sympathien der Bürger mit der Landwehr nicht entgehen mochten. Dasselbe that der Commandirende „von der Mölbe“, als dieselben Vertreter der Bürgerschaft sich an diesen wandten. „Ich habe den Auftrag, den Behörden Elberfeld’s Gehorsam zu verschaffen. Ich bin Soldat, und Sie wissen, der muß gehorchen“, erwiederte er; und als der Oberbürgermeister versicherte: „aber der Gehorsam ist mir bis jetzt nicht verweigert worden!“ – meinte der Soldat naiv: „daran kann ich mich nicht stören!“ und gab, nachdem seine Mannschaften nochmals inspicirt waren und vor den Augen des umstehenden‘ Volkes Patronen erhalten hatten, Befehl zum Einrückn in die Stadt.

Der Einmarsch des Militärs fand gleichzeitig an den beiden einzigen Eingängen am Westende von Elberfeld statt. Von Seiten der miteinrückenden Bürger geschah er lautlos. Dagegen halte dumpf und weit hörbar, wie ein Riesentritt, der Schritt der Infanterie schalte so zu mir hinauf ins Klassenzimmer meiner Prima; und das nachfolgende Geschütz rollte wie nahendes Erdbeben über das Pflaster der Herzogstraße, in welcher das Gebäude der Gewerbschule stand. Mir stockte fast der Athem und auch meine Primaner saßen stumm horchend, mit glühenden Gesichtern mir gegenüber.

Da stürzten drei Männer von der Landwehr in mein Klassenzimmer. „Herr Doctor!“ schrie der Voraneilende mir zu, „jetzt müssen Sie mit ! – Die Landwehr und alle Corps wollen Sie sehn – wollen, daß Sie uns führen.“ Die drei Landwehrofficiere, die aristokratischen Hunde! sind nicht gekommen und auch der Maulheld Höchster ist nicht zu finden“, bemerkte der Zweite von ihnen; und der Dritte mit finster zusammengezogenen Braunen, setzte hinzu: „Ja, auch Sie haben uns schöne Reden gehalten; jetzt zeigen Sie, daß Sie auch handeln können!“ […] Die Leute [auf der Wilhelmshöhe] hatten eben ihre „schwarz-weißen Achselklappen“ das Abzeichen preußischer Landwehr ihren Uniformen gerissen, und waren nun damit beschäftigt, sie auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Auf den Tschako’s trugen sie nur die deutsche schwarz-roth-goldene Cocarde ! – Wir einigten uns bald, daß ihr bisheriger Führer, der junge treffliche Pothmann, auch jetzt ihr specieller Commandeur sein, ich aber den Oberbefehl über alle Bewaffneten und die Leitung der Vertheidigung der Zugänge zu ihrem Lager übernehmen werde.

Dann eilte ich hinunter in die Altstadt, ließ mir aber meine Waffen verdeckt nachtragen. Welch ein desperates Getümmel welch‘ ein schreiendes Durcheinander! Dicht drängen sich in allen Straßen und Gaffen fragende Neugierige und fliehende Aengstliche, Voll- und Halbbewaffnete, von denen die Einen alte Musketen, die Andern Büchsen und so viele einzelne Waffen der verschiedensten Façon, manche sogar Aexte und Zuschlaghämmer trugen; und darunter wieder einige abenteuerliche Gestalten, die mit Pistolen, Dolch und Säbel bis an die Zähne besteckt waren; die Furie des Aufstandes hatte Alles bewaffnet ! — In Mitten dieser wogenden, schreienden Menge wurden mit größter Emsigkeit Fässer herbeigerollt, Post- und Lastwagen herbeigezogen und Kisten und Kasten, Thüren, Bretter und Balken mit ununterbrochenem Gepolter übereinander geworfen und aufgethürmt. Damit wurden Barricaden an den Aus- und Eingängen der Straßen errichtet, vor welchen gleichzeitig das Steinpflaster aufgebrochen, und in die Räume zwischen dem Aufgethürmten gebracht wurde. Wer nicht wußte, was da und zu was das alles geschah, erblickte nur ein Chaos darin; der Eingeweihte dagegen erkannte auch, daß dies Alles geordnet geschah. Und in der That, die Leute waren fleißig gewesen. Schon waren nicht bloß die einzigen beiden Zugänge zur Wilhelmshöhe doppelt und dreifach verrammelt, sondern auch der wie ein Brückenkopf vor denselben liegende dreieckige Carstenplatz mit seinen drei Ausgängen dreifach verbarricadirt. Dieser Platz und die Barricaden der hier ausmündenden Straßen waren auch schon von den Schützen und den mitkämpfenden Proletariern besetzt, und deren Hauptquartier in der Passagierstube des hier befindlichen Postgebäudes etablirt worden. Eben ging man nun daran, einen dritten, weiter nach dem Rathhause zu vorgeschobenen Barricadenkreis zu errichten.

Hier erfuhr ich bestimmter: wie die ganze Militärmacht auf der breiten Wallstraße um das Rathhaus herum und nicht, wie ich gehofft, größtentheils auf dem Königsplatze in der westlichen Vorstadt, aufgestellt sei, also an dem weiten Aufgange zum Neuenmarkte diesen beherrschend; und wie der Civilcommissarius auf dem Rathhause mit dem Stadtrathe deliberire und von Carl Hecker und den übrigen freigesinnten Räthen mit Bestürmung festgehalten werde: „das Militär nicht gegen die Wilhelmshöhe anrücken zu lassen.“

Eben hatte ich weitere Anordnungen getroffen, namentlich um schleunig den Neuenmarkt vorerst durch Vorschieben der leeren Krambuden und durch das Bretter- und Balkenwerk der da eben im Aufbau begriffenen Jahrmarktsbuden absperren zu lassen, als auch schon ein Infanteriecommando von etwa hundert Mann mit Gensd’armerie zur Verhaftung des Landwehrcomite’s gegen unsere äußere Barricadenlinie an der Poststraße vorrückte.

Schnell war ich bewaffnet, und, mit der Büchse in der Hand, gab ich der Besatzung der ersten Barricade nochmals die Weisung: „nur auf die anführenden Officiere zu schießen, und zwar auf diese dann erst, wenn sie förmlich zum Angriffe commandirten; auf die Soldaten aber nur, wenn sie die Barricaden übersteigen wollten.“ Ohnerachtet des ungeheuren Geschreies und Getümmels in der Straße vor unserer Barricade, konnte ich von dieser herab sehen und hören, wie die anrückenden Soldaten von Bürgern, sich vor ihrer Fronte mitbewegend, und von den Fenstern der Häuser aus, an denen sie vorbeimarschirten, bittend angerufen und mit ihnen parlamentirt wurde. So bewegten sie sich nur langsam näher und näher. „Den Officier ja noch nicht niederschießen !“ rief ich den Schützen in den anstoßenden Fenstern zu , als diese schon ihre Büchsen zum Schuß anlegten. Als dieser nun die erste Barricade mit ihrer dichten Besatzung von wohlbewaffneten Männern aus allen Klassen sah, und unter diesen meist uniformirte Schützen, ließ er, etwa zwanzig Schritte vor der Barricade, seine Colonne Halt machen und trat selbst näher heran, um mit der Besatzung zu unterhandeln. Es gelang bald, den Hauptmann zu überzeugen, „daß sein Commando zu schwach sei“, indem man ihn darauf hinwies, wie nun schon die Fenster der Häuser hinter ihm mit schußfertigen Bewaffneten besetzt seien und wie ihm in wenigen Minuten in der engen Straße jeder Rückzug abgeschnitten sein werde. „Gehn Sie auf die Wallstraße zurück, nur auf kurze Zeit ! denn noch immer ist Ihr Civilcommissarius auf dem Rathhaus in Unterhandlung über eine friedliche Ausgleichung. Vergießen Sie nicht unnöthiger Weise Bürgerblut; opfern Sie nicht vergebens Ihre Soldaten!“ so ermahnte ich ihn. Und der Mann that das und das Volk jubelte und rief ihm und seinen Soldaten Hurrah’s zu.

Fast gleichzeitig hatte sich in der Richtung des Neuenmarktes eine Escadron Uhlanen nach der Wilhelmshöhe in Bewegung gesetzt und die am Markte arbeitenden Barricadenbauer mit gefällter Lanze versprengt. Eben als ich vom Carstenplatz aus auf der andern Seite des Marktes mit einer Abtheilung Schützen erschien, war ihr Rittmeister Baron von Carrobier, nachdem seine Leute vergebens über die schon aufgehäuften Bretterwände der umgeworfenen Buden zu kommen gesucht hatten, mit einem kühnen Satze seines Pferdes über eine Stelle der Bretterhaufen hinüber gesetzt. Aber im selben Augenblicke hagelten auch Duzende von Pflastersteinen auf ihn, aus Hinterhalten zwischen den Kramstellen geworfen. Sein Pferd bäumte und stürzte dann mit ihm nieder; er selbst erhielt mehrere dieser furchtbaren Würfe, von denen einer ihm den Hinterkopf zerschmetterte. Seine Leute waren in Verwirrung gerathen; nur einige suchten ihren gefallenen Führer über die Bretter zurückzuziehn. Der eben auch aus dem hintern Ende des Marktes anrückenden Landwehrabtheilung befahl ich, den Rückzug der Uhlanen ruhig geschehn zu lassen und sich wieder auf ihren Posten am Eingange der Gasse zur Wilhelmshöhe aufzustellen.

Nachdem ich meine Waffen den beiden mich begleitenden Quasi-Adjutanten zwei Männern vom Turnercorps abgegeben hatte, eilte ich „als friedlicher Bürger“ vor’s Rathhaus. Die Infanterie fand ich hier mit Gewehr bei Fuß und mit einzelnen plaudernden Bürgern durchmischt, die Cavalleristen an ihre Pferde gelehnt und um die Gruppen der Officiere Schwarz-weiße aus der Bourgeoisie versammelt.

[…] Und der Feldherr zog sich mit seinen Truppen zurück! gab die treffliche Position am Rathhause auf und nahm eine andere auf dem Königsplatze vor der katholischen Kirche , während der Herr „von Spankern“ sich da oben im Stadtrathe noch immer nicht von der ihn fort und fort bestürmenden Hecker’schen Partei losmachen konnte.

Gleich hinter den Fersen der rückziehenden Militär-Colonnen errichtete das Volk auf meinen Wink an den Ingenieur Th. den vierten und dann auch bald den fünften Barricadenkreis quer durch die zum Markte, zum Rathhause und der Wupper entlang gehenden Straßen, während man die ganze Zeit hindurch noch nicht aufgehört hatte, unter P. auch in entgegengesetzter Richtung die Befestigungen vorzuschieben, um die reactionäre Bürgerwehr Barmen’s abzuhalten. Fast laut- und athemlos schleppten Weiber und Kinder altes Hausgeräthe herbei; Jungen und Männer in Hemdärmeln schoben Karren und Lastwagen heran und stülpten sie mit Riesenkraft um, quer in die Straßen, worauf dann Andere wieder die Lücken mit Ziegelsteinen einiger im Bau begriffener Häuser ausfüllten; ja in den Straßen, wo sich Lagerhäuser vor: fanden, thürmte man Ballen und Listen voll Waaren übereinander. Th. war unermüdlich bald hier, bald da. Gleichzeitig wurden auch heranziehende Bewaffnete aus nächster Nachbarschaft gruppenweise zur Besetzung der neuen Barricaden beordert. Und – merkwürdig! fast Jeder wußte sich in dieser lautlosen Wirrniß zu orientiren.

Da endlich ertönen auf meine Weisung laut und schauerlich die Sturmglocken der Kirchen durch die Straßen und durchs Thal. Tausendfaches Geschrei der Massen erhob sich überall, nah und fern. Dadurch erfuhren nun auch plötzlich die unterhandelnden Herrn im Rathhause, was in der letzten halben Stunde geschehn. Sie hatten mit Einwilligung des Civilcommissarius Abgeordnete nach der Wilhelmshöhe geschickt. Aber bei dem plötzlichen Sturmlärm wartete der Commissarius diese nicht mehr ab. Als er mit seinen Gensd’armen aus dem Rathhaus auf den Platz hinausstürzte, wurden erstere im Nu entwaffnet, ihm selbst aber bedeutet: „er möge seine Soldaten nach Düsseldorf zurückführen, oder man werde ihn sammt jenen gefangen nehmen; der Weg nach Düsseldorf sei der einzige, der ihm offen gelassen.“ Sprachlos, mit unbeweglichem, aber wuthbleichem Gesichte sah sich der Herr in Begleitung der schwarz-weißen Fabrikherrn Albert Weber die Befestigungen in der nächsten Umgebung an, und ließ sich zuletzt über die Barricaden in der Straße nach dem Königsplatze hinüber helfen.

Es währte nun fast eine ganze Stunde, ehe die Berathungen des Herrn Ober-Regierungsrathes mit dem Militärchef und dessen Officieren zu irgend einer Action führten. Dadurch gewannen wir wieder Zeit, die Brücke nach der Vorstadt Island zu befestigen und starke Piquets an das Ufer der Wupper und auf die Anhöhen an der entgegengesetzten Seite, auf dem Grünenwald, der linken Flanke des Feindes, vorzuschieben. Auch gelang es uns, sieben der kleinen „Festkanonen“ – es waren Zweipfünder! -aus dem Gesellschaftslokal der „Genügsamkeit“ zu nehmen und zur Bestreichung des Marktes und der Wallstraße vor dem Rathhause aufzupflanzen. Es war diese Liliput – Artillerie bisher nur – komisch genug – an „des guten Königs Geburtstag“ abgefeuert worden; nun gab ihre Aufstellung, wenigstens in den Augen der Laien, den Schein tactischer Sicherheit für den Fall, daß sie in das Rathhaus zurückweichen müßten — und erfüllten die Leute mit frischerem Muth, als alles Zureden vermocht hätte. So war das Militär, mit Ausnahme einer schmalen Rückzugslinie, schon völlig eingeschlossen, noch ehe der eigentliche Kampf begonnen.

Schweißtriefend kam ich endlich wieder zur Hauptbarricade am Eingange der Herzogstraße – der breitesten der drei zum Königsplatz führenden Straßen – unter dem freudigen Zuruf der Besatzung, und ließ mir, hier das specielle Commando übernehmend, meine Büchse und Hirschfänger reichen.

Leider hatte das Volk während meiner Abwesenheit das große Eckhaus dieser Herzogstraße mit heimlich versteckten Gensd’armen besetzt und an diesen Widerstand gefunden, als es, nach den Anordnungen des Barricaden-Ingenieurs, Sarren und älteres Geräthe aus dem Hofe holen wollte. Es war das Haus des Oberbürgermeisters von Carnap. Noch immer im Wahne, es sei dieser, der das Militär zur Arretirung der Landwehr requirirt habe, gerieth das Volk beim Anblick der abwehrenden Gensd’armen augenblicklich in eine solche Wuth, daß sofort jede Disciplin unmöglich wurde. Im Nu waren die Gensd’armen entwaffnet und durchgeprügelt, und in wenigen Minuten alle Fenster und Eingangsthüren zertrümmert. Blind hieb man im Innern des Hauses mit Aexten und Zuschlaghämmern Alles in Stücke, was nicht gleich durch die Fensteröffnungen hindurch auf die Straße geworfen werden konnte. Sessel, Tische und Stühle, Spiegel, Sophas und was Alles sonst noch von kostbarem Mobiliar ein wohlausgestattetes Haus in sich hat — selbst ein kostbarer Wiener Flügel — lagen bald da unten in buntem Durcheinander und gestalteten sich unter der Arbeit der zurückenden und die Lücken ausfüllenden Männer zu einer breiten, die ganze Herzogstraße nach dem Rathhaus zu absperrenden Riesenbarricade. Sogar das Silberwerk des Herrn Oberbürgermeisters — außer anderm zwei vollständige Servicesätze — hatte man aus dem Fenster auf die Straße geworfen, wo es, von wüthendem Volke zertreten und zerstampft, andern Morgens auf meine Anordnung in zwei Körbe aufgelesen wurde, welche dann überbunden und versiegelt im Rathhause zur Rückgabe an den Eigenthümer auch ungeschmälert aufgehoben blieben. Das brodarme Volk hatte das Silberwerk zertrümmert, sich aber kein Splitterchen zugeeignet!

Diese bedauerliche Zerstörung eines Privateigenthums erfüllte bald die gesammte Bourgeoisie der Stadt mit solchem Schreck, daß die Besseren sich hinter die verrammelten Thüren ihrer Häuser, die andern aber ins feindliche Lager auf den Königsplatz zurückzogen, hier zum schleunigen Angriff der Rebellen antreibend.

Bald sprengten auch Cavalleriepiquets recognoscirend in allen drei Angriffslinien, die zum Rathhaus führten, gegen die Barricaden vor, wichen aber nach wenigen Schüssen aus ihren Carabinern wieder zurück, sich überzeugend daß alle Punkte mit Bewaffneten so besetzt waren, daß sie, als Cavalleristen, Nichts ausrichten konnten.

Diesen plänkelnden Angriffen folgte das Anrücken dreier Detachements Infanterie, eines in jeder der drei zum Rathhausplatz führenden Parallelstraßen, die eine von Landrath Melbeck, die andere von Polizei-Director Döring und die dritte von Herrn v. Spankern selbst begleitet. Doch alle drei zogen sich, nach einigen Vorpostenschüssen, wieder nach dem Königsplatze zurück, nur verstärkte Vorposten in diesen Straßen zurücklassend.

Doch nun zog der Commandirende selbst mit der Hauptmacht seiner Truppen in der breiten Herzogstraße heran. Ich hatte meinen Stand im Fenster des zweiten Geschoßes am von Carnap’schen Hause genommen, mit einem Fuß auf der bis in dieses Fenster reichenden Barricade stehend und durch einige noch höher hinaufreichende, stehende Balken halb geschützt. Von hier aus konnte ich Alles übersehn und die commandirenden Officiere mit mir communiciren. In allen übrigen Fenstern dieses das Hauses und in denen der gegenüberliegenden und der angrenzenden Wohnungen hatte ich meine besten Schützen postirt. Mit fertigem Schusse erwarteten wir und die Bewaffneten hinter der Barricade an ihren darin aufgesparten Schießscharten die langsam heranrückende und zeitweise wieder anhaltende Infanterie.

Doch noch ehe es hier zum unmittelbaren Kampfe kam, erfuhr ich zu meinem Entsetzen, daß eine Schaar durchs Island eingerückter Zuzügler —- es waren Waffenschmiede und Eisenarbeiter aus der Umgegend von Burg und Remscheid hinter dem Rathhaus liegende Gefangenhaus erstürmt und nicht bloß die dreiunddreißig Assisen-Angeklagten, welche letztes Jahr die königliche Gußfabrik im Burgthal demolirt, befreit; sondern auch bei ihrem Suchen nach diesen die übrigen Gefängnisse erbrochen und die darin aufgehobenen Verbrecher in Freiheit gefegt hatten. Darunter war nicht blos manch diebisches Gesindel, sondern auch einige Raubmörder. Allen diesen aber waren Waffen eingehändigt worden! Die meisten rückten jetzt als eine neue Reserve hinter die Leute an meiner Barricade, ja viele drängten sich zu ihr heran und bald hinauf, ohne daß ich’s wehren konnte. Zwei dieser Kerle standen, ehe ich mich’s versah, mit ihren alten Doppelbüchsen hoch auf dem Trümmerhaufen, der die Barricade bildete, der eine dicht mir zur Seite. Es lief mir kalt übers Rückenmark. — Nichts ließ sich jetzt dagegen thun, nicht einmal ein verdächtiger Mienenzug. Dazu war nicht die Zeit.

Eben erfolgte eine erste Salve der nun bis zur Vorbarricade herangekommenen Infanterie. Daselbst hatte ich nur eine Scheinvertheidigung angeordnet und die kleine Besatzung schlich sich in schönster Ordnung in die dahinterliegenden Häuser zurück und verrammelte die Thüren. Auch standen auf jeder Seite der Straße die Häuser durch Oeffnungen, die ich in die Gartenmauer und Gartenzäune hatte brechen lassen, mit einander in Verbindung. Kein Mann von den Unsrigen war bei dieser ersten Salve verwundet; auf der feindlichen Seite aber war, wie man mir berichtete, ein Officier leicht und zwei Unterofficiere schwer verwundet worden, während sie die Scheinbarricade überstiegen und Durchgänge durch dieselbe machen halfen. Offenbar hatten die Soldaten ihre Salve, wie ein Mann, hoch in die Luft gerichtet.

Schnell hatten sich die feindlichen Colonnen vor meiner Barricade gesammelt und eine zweite Salve frachte uns entgegen; die Kugeln pfiffen über uns weg, aber der bewaffnete Verbrecher an meiner Seite war durch die Brust geschossen, klappte erst nach vorne zusammen, und stürzte dann, nochmals hoch aufgerichtet, mit seiner Büchse in der Hand rückwärts die Barricade hinab. Außer leicht durchstreifenden Kugeln ward Niemand anders von uns getroffen. Von neuen vorgeschobenen Gliedern der Militärcolonnen wurde dann noch eine dritte und eine vierte Salve gegeben, deren Erfolg noch schwächer war. Außer einem Schrammschuß, den ich selbst in meinen rechten Leisten erhielt, wurden nur Wenige leicht verwundet, und dies gewiß nur durch die Schüsse der älteren Unterofficiere. Anfangs merkte ich die Wunde kaum und konnte sie erst eine Stunde später berücksichtigen. Wir hatten bei jedem Anrücken und jeder Salve des Militärs Jeder nur wenige aber wohlgezielte Schüsse gethan, und so kam es, daß jedesmal einige der zielenden Unterofficiere und die an dem Flügel ihrer Fronte anmarschierenden Lieutenant’s, aber schwerlich ein anderer Soldat, verwundet wurde. Dessen ungeachtet zogen sich die Leute nach jeder Salve auf einige zehn Schritte halb in Unordnung zurück und waren nur durch fluchendes und stoßendes Commando der Officiere hinter der Fronte wieder in geschlossene schulgerechte Reihen zu bringen. Ihr „Schwalbenschießen“ hatte schon bewiesen, daß sie unwillig waren, ihre Mitbürger zu treffen.

Man hatte zuletzt die Colonnen weiter zurückgehen und dann eine kleine Pause eintreten lassen. Jetzt aber rückte eine dichte compacte Colonne mit gefälltem Bajonnete in Sturmschritte heran. Schnell ließ ich die Hirschfänger auf die Büchsen pflanzen und den obern Rand der Barricade mit so viel bewaffneten Leuten besetzen als darauf Platz hatten, während alle Andern in den Fenstern sich schußfertig machten. Wie ein Eisenhammer pochte mir das Herz vor fürchtender Erwartung, ob meine Leute vor solchem Bajonnetangriff stehen würden. Aber schon zwanzig Schritte vor unserer Fronte wurde der rasche feste Sturmschritt unregelmäßiger, die Mitte der Linie blieb erst einen halben, dann ganze Schritte hinter den von Officieren geführten Flügeln zurück, und während diese die in der Mitte zurückbleibenden Soldaten mit gehobenen Degen anfeuerten, knallten einige zwanzig unserer Büchsen – die verwundeten Officiere wichen zurück und mit ihnen die ganze Sturmcolonne. Hoch athmete ich auf, und als der Pulverdampf sich wie ein Schleier emporzog und die Wirkung unserer wenigen Schüsse zeigte, jubelten die Barricadenkämpfer ihre „Hurrah“ und schwenkten ihre Hüte nach der rückwärts in der Wallstraße ängstlich harrenden Volksmenge zu, durch die sich dann noch lauterer Jubel bis tief in die Stadt hinein fortpflanzte.

Doch diesem ersten folgte sogleich ein zweiter, noch mehr gedrängter Sturmangriff, und während die drohende Colonne im Takte: trom – trom! trom – trom! näher rückte, fielen von einer hinter ihr folgenden Unterofficierlinie fortwährend wohlgezielte Schüsse auf die Schützen in den Fenstern. Als aber die immer schneller und schneller anrückende lebendige Bajonnetmauer anfing, wieder außer Schritt und Linie zu gerathen, da sprang ihr Hauptmann vor die Fronte, schwang seinen Degen hoch in die Luft und führte die Soldaten wie einen einzigen geschlossenen Körper bis so dicht vor die Barricade, daß es nur noch weniger Laufschritte bedurfte, um das Ersteigen beginnen zu können. Da aber krachten auf mein Commando unsere Büchsen auch diesmal die meinige! – und die hohe schöne Gestalt des muthigen Hauptmannes lag leblos am Boden vor seiner Fronte, von vielen Kugeln durchbohrt. In einem plötzlichen Durcheinander wichen die Soldaten nun zurück und die noch zögernden ältern Leute und Unterofficiere waren unsern Kugeln so sehr ausgesetzt, daß auch sie zuletzt verschwanden. Die blutende Leiche des tapfern Hauptmannes aber sahen wir, als der Pulverdampf sich etwas verzogen, noch am Fuße unserer Barricade liegen. Der Todte war ein Baron von Uttenhoven.

Als die Leiche von einigen unserer Leute durch’s anstoßende Haus hinter unsere Barricade geholt und von hier in’s Rathhaus gebracht war, und nachdem wir auch einige von unsern schwer Verwundeten auf die Seite geschafft hatten, besetzte ich mit einer Abtheilung meiner Leute eine neue, unterdeß von Th. schnell vorgeschobene Barricade; denn das Militär war weiter nach dem Königsplatze zu zurückgewichen. Von da sahen wir aber plötzlich an dem Ellbogen, welchen die Straße in der Nähe des Landgerichts macht, eine Batterie Kanonen aufgepflanzt, welche unsere und alle Barricaden in der Linie hinter uns beherrschte. Darum ließ ich schnell die meisten meiner Schützen auch die Fenster der dem Feinde näher liegenden Häuser befetzen. Meine Leute waren furchtlos und meinten: „ah! nun gehts erst recht los !“ Von Zeit zu Zeit beleuchteten nun grauröthliche Blitze von der Batterie her auf unheimliche Weise die ganze Straße, und zwischen den dumpfen Donner der Kanonen und das fortgesetzte Sturmgeläute in den Kirchen, krachten scharf unsere Büchsen, immer nur auf ein oder zwei Ziele gerichtet auf die beim Commando der Geschütze hervortretenden Officiere. Aber auch die Kanoniere schienen mit dem Volke zu sympathisiren; denn fast jede der Kugeln es waren zwölfpfündige Vollkugeln sauste hoch über die Barricaden hinweg. Erst dann trafen einige dieser Volkugeln in die Riesenbarricade hinein – die eine einen ganzen Haufen des aufgethürmten Meublements zertrümmernd, die andern die bis jetzt noch erhaltenen Saiten des Pianos mit grausigem Schrill zerreißend –, als einige der Artillerieofficiere die Kanonen selbst richteten. Doch nun lag auch der eben die Kanone Richtende wieder hinter seinem Geschüße, von unsern Kugeln getroffen.

Immer seltener kam jetzt der Blitz und folgte ihm der Donner eines der Geschütze. Da nahm ich schnell die Leute mit Haubajonneten auf ihren Büchsen von der Barricade hinter mir, und formte vor der äußersten eine Sturmcolonne, um die Kanonen zu nehmen. Schon waren wir, ich selbst am rechten Flügel, im Halblauf eine Strecke vorgedrungen, als die Geschütze plötzlich retirirten, aber nur, um ein Detachement Uhlanen gegen uns Front nehmen zu lassen und uns mit eingelegter Lanze zu attaquiren.“ Schnell zogen auch wir uns bis an die halbfertige neue Barricade wieder zurück, und als die Uhlanen herantrabten, wurden sie schon von uns hinter der Barricade und von den Schützen in den Fenstern durch einen so heftigen Kugelregen empfangen, daß sie die noch sehr niedrige Barricade zu forciren aufgaben, und sich, nun mit Carabinern schießend, zurückzogen, und zwar so weit, als wir die sich krümmende Straße hinauf sehn konnten.

Eine Viertelstunde später, und ich überzeugte mich, daß der Feind in einiger Entfernung, an dem Bug in der Herzogstraße, nur starke Vorposten zurückgelassen und seine ganze Streitmacht auf den Königsplatz zurückgezogen hatte.

Ich fand es nöthig, noch beim Dunkel der Nacht denn diese war schon beim letzten Cavallerie-Angriff des Feindes eingetreten zwei Barricaden, und zwar die äußersten in der Hauptstraße, bis vors Casino vorzuschieben, um so den schwarz-weißen Fabrikherrn den Besuch desselben durch unser Geplänkel zu verwehren. Auch eine Recognoscirung unserer rechten Flanke auf den Abhängen des Grünbergs durch mich selbst wurde noch nothwendig, um von dort herab durch fortwährende Vorpostenbewegung dem Feinde die Nachtruhe zu stören.

Daß er diese suchte, nicht in Quartieren — denn Alles blieb auf dem Platze unter Waffen sondern so gut es gehen wollte auf dem Boden: das konnte ich von verschiedenen Punkten der Grünberger Abhänge herab bemerken.

Stellenweise hatte man Stroh und Matratzen auf den Platz geschleppt. Bei einigen Wachtfeuern gingen Soldaten, bald einzeln, bald gruppenweise, wie dunkle Schatten vorüber, in oder neben die dann unsere Büchsenkugeln aufs Pflaster klatschten, bis sie diese Feuer verließen und sich unter Erwiederung unserer Schüsse an andere Wachtfeuer hinter die katholische Kirche zurückzogen. Und so ging die blutige Neckerei fort bis tief in die Nacht hinein, von commandirenden Landwehrleuten trefflich geleitet.

Ich hatte mich indeß nach der Altstadt zurückbegeben, um mich von der Lage der Dinge an diesem Orte selbst zu unterrichten. Im Allgemeinen sah die ganze Stadt wie ein feindliches Kriegslager aus. In jeder Straße brannten hinter den Barricaden Wachtfeuer, von dunklen Gestalten mit hellen Schlaglichtern umgeben. Aber eine noch immer schreiende und wogende Volksmasse nahm die ganze, breite Wallstraße vor dem Rathhause ein, an einzelnen Stellen mit grellbeleuchteten Gruppen; es war dort, wo Pechkränze oder Theertonnen brannten, die ihren feurigen Rauch wie Kometenschweife ausstreckten. Viele der Leute bestanden aus Zuzüglern von Solingen und dessen Umgegend; barsche, meist mir unbekannte Gesichter. Wo man mich erkannte, wurde ich mit „Hochs“ begrüßt. Besonders fremd waren mir manche ganz neue abenteuerliche Gestalten mit Pistolen und einem Schleppsäbel bewaffnet, einen Federhut mit schwarzer oder rother Feder tragend und sich sonderbar geschäftig zeigend, so, als hätten sie dringend welche Befehle zu ertheilen.

Auf dem Carstenplatze, unserm Hauptquartier an der Post, umstanden dunkle Gestalten, auf ihre Büchsen gestützt, drei hellbrennende intensive Feuer, an derer jedem Männer mit aufgestreiften Hemdärmeln Kugeln aus Blei gossen, das von Pumpenröhren mittelst Beilen abgehackt worden und von Männern und Weibern herbeigeschleppt wurde. Es war des jüngeren oder , wilden Pothmann“ Thun, der, selbst Pumpenmacher, schon seinen ganzen Vorrath von Blei aus der Werkstatt hergegeben hatte, ehe er anderes in Anspruch nahm.

Wegen meiner Wunde, die ich beim Gehen schmerzlich fühlte und zuletzt unter einem Drucke meiner rechten Hand halten mußte, hatte ich mich auf meiner recognoscirenden Wanderung durch meinen Quasi-Adjutanten müssen führen lassen. Jetzt fühlte ich mich aber plötzlich fast ohnmächtig. Unbemerkt hatte ich fortwährend Blut vergossen. Ich mußte mich in’s nahe Posthaushotel bringen und von Dr. R. verbinden lassen. Die Wunde war nicht gefährlich — sie war eine leichte Fleischwunde geblieben. Die treffende Kugel war sichtlich vom Metallbeschlag der Scheide meines Hirschfängers abgeschrupft und in die Weiche neben dem rechten Leisten gefahren, beim Bewegen oder Gehen aber schon mir unbemerkt hinausgedrückt worden.

Während ich hier verbunden und von meiner blutigen Wäsche befreit wurde und mich dann an einem derben Beefsteak und einer Flasche Rheinwein labte – ich hatte seit dem Frühstücke, außer einigen mir auf die Barricade hinaufgereichten Gläsern Wein, nichts genossen – machte ich folgende Anordnungen: […]

Nach dieser Arbeit schlief ich, in einem Sessel fitzend und die Füße auf dem Tische rastend, ermüdet ein – trot alles Getümmels und Geschreis draußen auf dem Platze. Man gönnte mir das und schüßte meine Ruhe auch einige Stunden während dieses improvisirten Schlafes.

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