12.-17. Mai 1849 – Alltag eines Revolutionärs

Fast an jedem Tage veränderte sich unsere Situation; was blieb, war nur die ununterbrochene Arbeit an einer Unzahl von Fällen, diese aber in den verschiedensten Variationen.

Wer aber kann diese alle beschreiben! – Dieses beständige Kommen, Warten und Gehn fremder, mitunter wüster, oder zwar bekanntr, jedoch, abenteuerlich metamorphosirter Gestalten, mit ihren oft ans Barocke grenzenden Anträgen und einer Wichtigthuerei Einzelner, welche trotz des grauenhaften Ernstes unserer Page die Gesichtsmuskeln unwiderstehlich zum Lachen reizte; – dieses unausgesetzte Drängen um Geld, Bons, Waffen, Munition, Kleidung, Lebensmittel, Officier- und Adjutanten-Stellen, Schutzkarten und Passagescheine; und endlich sogar das Visiren von königlichen Reisepässen und Wanderbüchern der Handwerksburschen; dazwischen die immer sich erneuernden und eben so oft als falsch sich erweisenden Meldungen vom „Anrücken preußischer Truppen“, begleitet von dem da draußen angeregten Höllen-spectakel einer usurpirten Lärmtrommel und des commandirten Generalmarsches, des Sturmgeläutes, Waffengeklirres und dem Schreien rennender Männer; – das Vortragen rein persönlicher, der Sache ganz fremder Drangsale und Leiden Einzelner, mit der Bitte um Abhülfe bei den nun geflüchteten Behörden von Armen-, Waisen- und Krankenhäusern und bei nun verschwundenen Unterstützungskassen; die Bitten um Fahrpassage-Oeffnungen in dieser und jener, den innern Verkehr hemmenden Barricade, und um Bestimmung von andern erreichbaren Wochenmarktplätzen; Boten auf Boten mit Briefen, die wichtigsten und unwichtigsten Mittheilungen, die verschiedenartigsten Anfragen enthaltend; Deputationen und Repräsentationen von Nah und Fern: der Cölner Literat Engels aus Barmen, Professor Rinkel aus Bonn, Cantador aus Düsseldorf, Anneke und Gottschalk aus Cöln, Imand aus Trier, Schmidt von Löwenberg aus der Rheinpfalz, und viele ähnliche Männer, und dann noch unzählige unbedeutende Leute; Präsentationen von uns völlig fremden professionellen Revolutionshelden der Straßen in Warschau, Krakau und Paris, um ein Officiercommando ansuchend; Anerbietungen von Hülfe aller Art, besonders mörderischer Dolche und Bajonnetpistolen, Höllenmaschinen, ja sogar Anpreisung von Geheimnissen in leichter Vertheidigung von Barricaden; Alles gerinnt mir immer wieder in ein buntes Chaos zusammen, sobald ich das Einzelne in ein Bild zu frieren versuche.

So gings bei Tage; ähnlich und doch anders bei Nacht. Von Schlaf war da wenig die Rede, von einem Bettlager und Umkleiden noch weniger. Während immer je drei und drei der übrigen Mitglieder des Sicherheitsausschusses im Nachtarbeiten und Wachen auf dem Bürgersaale abwechselten, waren es in den ersten Nächten die Menge der Ansprüche, direct an mich gerichtet, und später das Wachen gegen wachsenden Verrath, was mich an meiner Stelle ununterbrochen gefesselt hielt. Der breite, und dreimal so lange Bürgersaal war durch ein querlaufendes Geländer abgetheilt, so daß in dem dadurch abgetrennten hintern Viertel des hier erhöhten Raumes die Geschäftsabtheilungen des Sicherheitsausschusses mit ihren Beamten ihre Arbeitstische und Sitze hatten, während der vordere größere Theil dem geschäfthabenden Publicum offen stand. Da saß ich nun in der Mitte der ersteren Abtheilung auf meinem Sessel, oder zuweilen auf eine herbeigeschobene Holzbank hingestreckt; und dann schlossen in Augenblicken der Ruhe die bleiernen Augenlider sich auf einige Minuten zum Schlafe, ohne daß den Gehörnerven die zum tiefen Schlafe nothwendige Ruhe gegönnt war. Denn fortwährend schliefen da schnarchend in ihren Waffen einige wartende Boten auf den Bänken oder dem Boden, den Wänden entlang; und es gingen im Vordergrunde wachthabende Officiere und Ordonnanzen unstät auf und ab; oder es kamen andere Bewaffnete, Ordre zu holen und zapften sich dann ein Glas Bier aus dem stets aufgelegten Fasse; denn dies durfte Nachts an dieser Stelle nie fehlen. — So war die Ruhe, während welcher ich mir ein Auge voll Schlaf zu erhaschen suchte. Solche Ruhe aber war meist kurz; denn oft, sehr oft kamen Gruppen munterer frischer Gesellen. „In des Teufels Namen, haltet Ruhe!“ schrie dann der eben etwas Schlaf suchende Hecker von der Holzbank aus, auf die er sich, mit einem Actenstoß als Kissen unter dem Kopfe, hingestreckt hatte; schrie so in den patriotischen Gesang hinein, oder in die Prunk-Rede eines Maulhelden inmitten einer ihm horchenden Gruppe, und, anstatt den Zuruf des Müden zu berücksichtigen, wurde mit unaufhörlichen „Hoch’s“ auf „ die Linke in Frankfurt“ und „Pereat’s“ auf die verdammten Minister in Potsdam“ und den ,,Champagner-Fritz“ geschlossen, um — anderem Spectakel die Luft zur Erschütterung zu überlassen.

Mehr denn einmal geschah mir’e hier, daß, als ich auf kurze Augenblicke in den dumpfen Halbschlaf versunken gewesen und plötzlich durch ein neues Geräusch aufgeschreckt wurde, es mir schien, als sei aus dem Fresko-Fries, der unter der Dede des Saales rings herum lief, ein Theil der dort gemalten Männer herabgestiegen, um da andere Gruppen lebender Bilder zu bilden, bis ich, die müden Augen ausgerieben, oben Alles noch auf seinem Platze und unten nur neue fremde Ankömmlinge erkannte.

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